Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
wie ich heute hatte er die schlimmsten Befürchtungen und dachte, es sei sogar etwas gebrochen. Er war sehr deprimiert und hatte die Fortsetzung seiner Pilgerreise innerlich bereits abgehakt. Aber schon nach 2 Tagen ging’s ihm zunehmend besser und er konnte den Weg fortsetzen. Er hat‘s bis Santiago ohne weitere Zwischenfälle geschafft! Für diese Geschichte hätte ich ihn umarmen können. Sie gab mir den letzten Rest Optimismus zurück. Als wir uns in unsere Zimmer verabschiedeten, wusste ich, dass auch ich den Camino fortsetzen werde. Wenn es sein muss, dann mache ich eben vorher noch einen Tag Pause. Ans Aufgeben verschwende ich keinen Gedanken mehr, auch nicht beim Blick auf meinen dick geschwollenen Knöchel. Wiebke habe ich am Telefon nur von einem kleinen Wehwehchen erzählt, ohne das Drama zu erwähnen, was sich heute in meinem Kopf abgespielt hat. Was soll sie sich Gedanken machen, das hilft keinem. Zuhause ist übrigens alles in Ordnung, alle gesund und munter! Gut zu wissen… .
So lässt sich denn auch der Wein genießen, der eigentlich als Frusttropfen gedacht war. Besser so! Noch ein paar Schlücke, dann habe ich ihn platt gemacht - mit dem Ergebnis, dass ich eine ordentliche Bettschwere verspüre.
Meine Wünsche sind bescheiden, ich hoffe lediglich auf eine heilsame Nacht. Immerhin ist mir nicht mehr zum Jammern, Fluchen und Heulen zumute, das ist am Ende dieses Tages die gute Nachricht. Auch Gerard trägt daran seinen Anteil. Ab sofort werde ich besser aufpassen, wo ich hintrete. Das ist meine Lektion des heutigen Tages!
Der Namensgeber des Weges
Tag 35, St.-Amand-M. – Châteaumeillant 35,5 km
Es ging weiter! Die Schwellung war tatsächlich zurückgegangen, ich konnte halbwegs vernünftig auftreten und auch der Schmerz hatte nachgelassen. Ich war voller Hoffnung, dass das unter Belastung so bleibt. Ein Wunder? Wohl eher weniger. Wahrscheinlich war es einfach so, dass die stechenden Schmerzen und der unmittelbare Schock nach dem Umknicken gestern schlimmere Befürchtungen bei mir hervorgerufen haben, als sie die tatsächliche Verletzung gerechtfertigt hätte. Ich bin froh, dass es so ist und nicht anders. Mit diesem Selbstverständnis ging’s „On the Road“, übrigens ganz ohne Nachwirkungen durch den Rotwein.
Poncho oder nicht Poncho? Diese Frage beantwortete ich mit Nein und stopfte ihn nach oben in den Rucksack. 10 Minuten vor meinem Start hatte es aufgehört zu regnen. Ich vertraute darauf, dass dies so bleibt. Da lag ich daneben! Kaum hatte ich die Stadt verlassen, ging ein Platzregen nieder, der mir keine Möglichkeit gab, meinen Regenschutz noch hervorzukramen. Da auch kein Unterstand oder ähnliches zu sehen war, wurde ich in kürzester Zeit klatschnass. Der Starkregen war zwar schon nach wenigen Minuten vorbei, aber dafür nieselte es danach fies vor sich hin. Nun denn, nass war ich sowieso, es spielte also keine Rolle mehr. Mir blieb ja eh’ nichts anderes übrig als weiterzugehen. Spaß machte das nicht. Die Klamotten klebten auf der Haut und sehen konnte ich auch kaum etwas, da meine Brille ständig beschlug. Immerhin war keine Feuchtigkeit ins Rucksackinnere gelangt.
Mein Fuß tat zwar anfangs noch ziemlich weh, mein Laufstil war dabei alles andere als rund, aber es ging mit jedem Kilometer besser. Ich war echt erleichtert und bin es
immer noch. Gestern hätte ich davon nicht zu träumen gewagt. Meine Schuhe gaben mit jedem Schritt ein schmatzendes Geräusch von sich, so haben sie sich voll Wasser gesogen. Ich trage sie immer noch, obwohl sie inzwischen reichlich zerfleddert aussehen. Ich hoffe, sie halten bis Limoges durch, dort werde ich wohl neue finden.
Bis Mittag blieb es ein freudloses Pilgern, mein Blick durch die vernebelte Brille war fast ausschließlich auf die nächsten zwei, drei vor mir liegenden Meter Wegstrecke gerichtet. Ich verpasste nichts, da von der Landschaft nur wenig zu sehen war und die paar Orte, die ich durchquerte, ein trauriges Bild abgaben.
Erst in Marcais hörte der Regen auf und die Bewölkung wurde etwas lockerer. An einer Picknickbank neben der Kirche traf ich auf Gerard. Er war cleverer als ich und ist mit Regenponcho gestartet. So war er darunter trocken und konnte sich etwas ausruhen, ohne zu frieren. Ich dagegen war mit meinen nassen Klamotten zum Weitergehen gezwungen, damit es mir nicht kalt wurde. Nach einem kurzen Gespräch verabschiedeten wir uns
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