Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters
aus der Bank. Sie sind raus aus Ihrem Leben. Wir sind auf der
Flucht.« Ich sage das sehr langsam und so feierlich, dass ich selbst eine
Gänsehaut bekomme, aber die ist auch angemessen. Denn auf einmal bin ich sehr
stolz auf Sie. Sie sind genau da, wo Sie hingewollt haben, mitten in der
Unsicherheit, mitten im Abenteuer, auf dem Weg zum glücklichen Ende. Auf einmal
bin ich auch sehr stolz auf mich, weil ich Sie hierhergebracht habe. Ich bin
stolz auf das Hier und Jetzt mit seinem morschen Boot und seiner Schusswunde
und seinem toten Hund und seinen etwa sechstausendeinhundert verknitterten
Euro. Dass uns nichts passieren kann, denke ich, dass wir vollkommen außer
Gefahr sind, weil nichts sicher ist, außer, dass es kein Zurück mehr gibt.
Jetzt geht es nur noch darum weiterzumachen, einfach weiterzumachen, und Sie
seufzen, Ihre Augen fallen wieder zu, Ihre Brust hebt sich schnell und senkt
sich langsam. Sie bewegen die Lippen, jedes Wort fällt Ihnen schwer, so schwer,
dass ich kaum verstehe, was Sie da sagen, so schwer, dass ich es falsch
verstehe, ganz sicher verstehe ich es falsch, Herr Willis, denn Sie sagen: »Ich
will nach Hause.«
Bestimmt träumen Sie
noch halb. Sie sind erschöpft, Sie sind verwirrt und bringen deshalb alles
durcheinander. Das ist nur verständlich. Ich streiche beruhigend über Ihren
Arm. »Sie wollen nicht nach Hause«, erkläre ich Ihnen. »Im Gegenteil. Sie
wollen endlich raus in die Welt, Sie wollen ins Abenteuer.« Und Sie sagen etwas,
das so ähnlich wie »Nein« klingt, und da muss ich mich schon wieder täuschen,
da müssen Sie sich schon wieder täuschen, das steht völlig außer Frage.
Erneut versuchen Sie sich aufzurichten, aber dafür ist es einfach
noch zu früh. Sie dürfen sich jetzt nicht übernehmen, Sie müssen erst wieder zu
sich kommen. Sanft drücke ich Sie an den Schultern zurück auf die Bootsplanken.
»So ist gut«, sage ich beschwichtigend, und dass Sie sich jetzt noch ein wenig schonen sollten, dann werde man weitersehen.
Ich fange an, Ihnen leise etwas vorzusummen, und Sie wehren sich, das ist ganz
normal in Ihrem Zustand. Es ist ganz normal, dass Sie etwas wirr reden, immer
wieder sagen Sie, dass Sie nach Hause wollen, und ich sage, dass es ganz normal
sei, das zu wollen, aber leider vollkommen unmöglich. »Ihr altes Leben ist
vorbei«, sage ich, das hätten Sie endlich hinter sich gelassen. Ich streiche
Ihnen dabei unablässig über die Stirn, die Wange, Ihre überraschend weichen
Bartstoppeln. »Sie sind jetzt nicht mehr mein Bankberater«, sage ich. »Sondern
mein ehemaliger Bankberater«, und sobald Sie wieder aufwachten, würden Sie das
auch einsehen.
Und auf einmal sind Ihre Augen weit aufgerissen. Sie schlagen meine
Hände weg und richten sich auf. »Ich bin wach«, sagen Sie. »Ich bin vollkommen
wach.« Ihre Stimme ist unpassend kräftig, Ihre Augen funkeln. »Hören Sie auf,
so einen Blödsinn zu reden«, sagen Sie, und ich sage, das sei kein Blödsinn.
»Sie sind mein ehemaliger Bankberater«, sage ich, das hätte ich Ihnen doch eben
erklärt, und Sie raten mir, Ihnen nicht vorzuschreiben, wer Sie seien, das
wüssten Sie ja wohl selbst noch am besten. »Und ich weiß auch«, sagen Sie,
»dass ich jetzt auf der Stelle nach Hause will.« Sie sagen es leider sehr klar,
sehr deutlich, und es klingt so endgültig, wie ein Ende überhaupt gültig sein
kann.
Ich schaue Sie an und schaue schnell wieder weg, auf die Wellen, auf
den Wald, auf das ganze beschissene Hier und Jetzt. Das kann doch nicht Ihr
Ernst sein. Das kann doch beim besten Willen nicht Ihr Ernst sein. Nicht nach
all dem, was wir jetzt schon hinter uns haben. Herr Willis, schreiben Sie mir
bitte sofort, dass es nicht Ihr Ernst ist.
Ihr
Tilman Rammstedt
Heute sei Dienstag, sagte mein ehemaliger Bankberater an
einem Dienstag, ohne dass ich ihn danach gefragt hatte. »Morgen ist Mittwoch«,
fuhr er fort, und dann Donnerstag, Freitag, Samstag, das ganze andere Zeug.
»Und wenn man gerade denkt, das gehe immer so weiter«, sagte er und hob dabei
tatsächlich seinen Zeigefinger, »fängt alles wieder von vorn an.« Er schüttelte
ungläubig den Kopf. »Wo waren wir stehen geblieben?«, fragte er dann, doch das wusste
ich auch nicht.
Sehr geehrter Herr Willis,
schreiben Sie: »Das ist nicht mein Ernst.«
Sie können den Text von mir aus kopieren und in Ihre Antwortmail
einfügen. Aber schreiben Sie das gefälligst, sonst kann ich für nichts mehr
garantieren.
Ihr
Tilman Rammstedt
Mein
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