Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters
ehemaliger Bankberater behauptete oft, Grün stehe ihm
gut. »Das macht einfach mehr aus meinem Typ«, sagte er, auch wenn ihm das, wie
er mir eines Nachts anvertraute, manchmal gar nicht unbedingt ratsam
schien.
Sehr geehrter Herr Willis,
ich beuge mich über Sie und zerre Sie am Kragen hoch. Das
Boot schwankt bedrohlich, aber das soll es ruhig. Von mir aus kann es kentern,
von mir aus können wir in den See fallen, weil Sie hier dann endlich mal mit
anpacken müssten oder halt ertrinken, das wäre ganz allein Ihre Entscheidung.
Sie leisten keinen Widerstand, lächeln nur unbestimmt an mir vorbei,
als ob Sie schon gar nicht mehr hier wären. »Sagen Sie: Das ist nicht mein
Ernst«, schreie ich Ihnen immer wieder ins Gesicht, so häufig, dass Sie
überhaupt keine Chance hätten zu antworten, doch das wollen Sie anscheinend
ohnehin nicht.
Ich sehe die grauen Bartstoppeln, ich sehe die Poren Ihrer Haut,
Falten, kleine Leberflecke, aber dahinter sehe ich nichts. »Sagen Sie, dass Sie
mein Bankberater sind«, schreie ich. Ich habe das dringende Bedürfnis,
irgendetwas mit Ihnen zu machen, Sie zu schlagen oder zu beißen oder zu würgen
oder zu küssen, Sie aus der Reserve zu locken, aber bevor ich mich für eines
davon entscheiden kann, sagen Sie: »Lassen Sie mich los«, mit dieser leisen,
entschiedene Stimme, die nie ihre Wirkung verfehlt.
Sie richten Ihren Kragen. Ob ich den Verstand verloren hätte, fragen
Sie. Selbstverständlich seien Sie nicht mein Bankberater. Wie ich denn auf so
etwas käme. Ich solle aufhören, ständig von diesem Bankberater anzufangen, den
Sie nicht kennen würden, den Sie nicht kennen möchten, den ich mir doch
schließlich nur ausgedacht hätte. »Fangen Sie endlich mal an, zwischen Fantasie
und Wirklichkeit zu unterscheiden«, sagen Sie. Und ich frage, zu was von beidem
Sie denn Ihrer Meinung nach gehörten, und das hätte ich besser nicht gefragt,
denn sofort halten Sie mich im Schwitzkasten. »Sehe ich etwa ausgedacht aus?«,
fragen Sie. »Sieht die hier etwa ausgedacht aus?«, fragen Sie und halten mir
Ihre Faust vor die Augen, bevor Sie mir mit mehr Kraft, als ich Ihnen noch
zugetraut habe, in den Magen schlagen. Ob sich das ausgedacht anfühlen würde,
fragen Sie, und das tut es eindeutig nicht.
Als ich meinen Atem wiederfinde, haben Sie sich wieder auf den
Rücken gelegt. Ich lege mich neben Sie, Kopf an Kopf im Bug des schaukelnden
Bootes. Wir schauen in den Himmel, in dem es nichts zu sehen gibt. »Geht es?«, fragen
Sie, und ich sage: »Ja«, auch wenn ich nicht weiß, was genau Sie meinen und was
davon tatsächlich geht. »Gut«, sagen Sie, und dann schweigen wir.
Einen kurzen Moment lang denke ich, dass wir nun wieder Freunde
sind, Herr Willis. Oder zumindest Partner, Schicksalsgemeinschaft, was auch
immer, zumindest irgendetwas, das uns zusammenhält, aber dann räuspern Sie sich
und sagen: »Darf ich nun bitte endlich nach Hause?« Es klingt ruhig, fast
entschuldigend, und es ist zweifellos Ihr Ernst.
Ich bin enttäuscht, Herr Willis. Menschlich und schauspielerisch.
Ihr Verhalten ist undankbar. Vor ein paar Wochen haben Sie noch halb benommen
in Unterhosen Nachmittagsfernsehen geschaut, und nun sitzen Sie hier mitten in
der Natur, Sie spüren das Leben, Sie spüren den Körper. Und das Beste ist: Es
ist noch nicht einmal Ihr Leben und noch nicht einmal Ihr Körper. Sie könnten
das auch als Abenteuerurlaub von sich selbst ansehen. Aber kaum, dass es etwas
schwieriger wird, wollen Sie zurück nach Hause zu Ihren viel zu naturfaserigen
Bettlaken und Ihrer viel zu großen Espressomaschine, die Sie nicht verstehen
und die Sie nicht versteht. Zurück zu Ihrem unterwürfigen Therapeuten, der
Ihnen erzählen wird, wie gut und wichtig es war, dass Sie so entschieden für
Ihre Bedürfnisse eingetreten sind.
Aber Sie wissen doch gar nicht, was Ihre Bedürfnisse sind, Herr Willis. Wir
sind doch auch hier, um das herauszufinden. Und deshalb sage ich: »Nein.« Ich
sage: »Sie dürfen noch nicht nach Hause.« Ich sage, das komme überhaupt nicht
infrage, und höre Ihr gleichmäßiges Atmen neben mir, das mir nichts darüber
verrät, ob Sie meine Antwort akzeptieren oder ob sie Ihnen mittlerweile einfach
nur gleichgültig ist. Warum kann ich Sie immer noch so schlecht einschätzen,
Herr Willis?
Ihr
Tilman Rammstedt
PS: Nur nebenbei: Als Erscheinungstermin des Buches ist
nun übrigens Mitte Oktober ausgemacht. Das ist nicht mehr lange hin, und
spätestens dann werden Sie ja
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