Abenteuer mit Archimedes, Pythagoras & Co.
viel Rauch, und vor dem Jungen standen Männer in Rittergewändern und eine Königin war auch unter ihnen. Die Mauern der Westerburg waren damals noch ungebrochen. Wo ihr jetzt steht, befand sich ein gepflasterter Hof und dort auf dem Turm wehte die rot-weiße Fahne der Westerritter.«
»Wo sind die jetzt hin?«
»Die Königin hat in Wollebach geheiratet. Dort ist sie auch geblieben und mit ihr viele ihres Hofstaates, während ihre Burg im Zeitraffer verfiel.«
Als ich an diesem Abend ins Bett ging, spukten Borkenkinn, die Westerritter und Horden wütender Sarazenen in meinem Kopf herum, obwohl ich nicht wusste, was die überhaupt waren. Vielleicht hatte ich Opa falsch verstanden und die hießen Sarazähne? Das Heulen des Windes klang wie Zaubergesang und mir war es, als könne ich die ächzenden Stämme der Baumsaradingsdas hören, die sich langsam, aber unaufhaltbar an die Stadtmauer des nichts ahnenden Wollebach herantasteten.
Auch Mitternacht rückte näher, und noch immer konnte ich nicht einschlafen. Da ließ die Kirchturmuhr einen einsamen Schlag hören und gleich darauf erklang noch einer, diesmal allerdings an meinem Fenster. Hatte Olli einen Kiesel geworfen? Ich huschte an die Scheibe und fiel vor Schreck beinahe rückwärts aufs Bett. In den Birken, die unser Grundstück begrenzten, stand eine hochgewachsene Gestalt, deren mächtiges Geweih im Mondlicht schimmerte. Reglos stand sie da, mindestens zehn Stunden lang. So kam mir das jedenfalls vor.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, eilte ich noch im Schlafanzug zu besagter Stelle und suchte nach Spuren des Geweihträgers. Borkenkinn! Ich bekam eine Gänsehaut.
Da! Am Fuß der höchsten Birke fand ich ein Leder, zusammengerollt und mit Schnur zugebunden. Ich hob es auf, öffnete und entrollte es.
Mir wurde noch viel gänsehäutiger!
»Das ist eine Schatzkarte!«, rief Olli begeistert. »Die lag bei dir unterm Fenster?«
»Bei den Birken.«
»Schau, das ist der gespaltene Baum vom Weg zur Westerburg. Eindeutig.«
»Da ist das Kreuz, da liegt der Schatz.«
Olli setzte sein skeptisches Detektivgesicht auf. »Die Karte ist sicher von deinem Opa. Oder was meinst du? Sieht aus wie aus einem Notizbuch gerissen, und die Linien ... das ist modernes Papier.«
»Tja ...« Ich zuckte mit den Schultern. Von der morgendlichen Gänsehaut war nichts mehr übrig, und eigentlich stimmte ich Olli zu.
»Gestern erzählt er uns die Geschichte der Westerburg und letzte Nacht wirst du zufälligerweise vom Druiden besucht?«
Ich hob den Zeigefinger. »Still! Das ist egal. Schatz ist Schatz und Abenteuer ist Abenteuer. Ich möchte auf jeden Fall wissen, ob da irgendetwas vergraben ist – auch wenn Opa es vergraben hat!«
Dem stimmte Olli zu. Wir verabredeten uns auf den Nachmittag. Olli trug einen Wanderhut mit Gamsbart und schwang einen Wanderstock. Auf dem Rücken trug er seinen Abenteurerrucksack, voll mit allerlei Nützlichem wie Konfetti, Batterien, einem Comicbuch, Reißzwecken und dergleichen. Ich hatte auch einen Rucksack dabei und darin Wegzehrung, etwas Schnur und eine Taschenlampe.
»Wo ist Tanja?«, fragte ich.
»Die hatte keine Lust zu solch einem sinnlosen Unternehmen.«
Ich blickte Olli enttäuscht an.
»Das waren ihre Worte. Sie glaubt nicht an Borkenkinn und glaubt nicht, dass da etwas vergraben ist. Sie meint, dein Opa will uns nur auf eine Wanderung schicken, damit wir nicht wieder anderen Leuten dumme Streiche spielen.«
Ich machte ein langes Gesicht.
»Nimm’s dir nicht zu Herzen«, tröstete Olli mich. »Ich glaube auch nicht an Borkenkinn, finde es aber trotzdem spannend. Also auf zum Schatz!«
Guten Mutes stiefelten wir los. Unterwegs bekämpften wir den Troll unter der Waldbrücke, flüchteten vor einem Trupp angreifender Sarazenen und verjagten grimmige Zwerge, die uns aufgelauert hatten. Endlich standen wir vor dem gespaltenen Baum.
Ich holte die Taschenlampe hervor und band mir die Schnur um den Bauch.
»Alle fünf Minuten werde ich daran ziehen, dann weißt du, dass alles in Ordnung ist.«
»Meinst du, die Höhle ist so tief?«
»Vorsicht ist besser als Nachsicht.«
So tief war die Baumhöhle nicht. Ich passte nicht einmal ganz hinein. Ich fand Lehm, Wurzeln und Krabbelzeug, aber keine Tür in die Welt Borkenkinns.
»Sehr gut getarnt«, bemerkte ich. »Reich mir mal die Schippe.«
Olli gab mir die Sandkastenschaufel aus meinem Rucksack und kurz darauf kehrte ich mit dem Schatz in der Hand wieder ans Tageslicht
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