Abenteurer sucht Frau fürs Leben
Ironie, sah aber nur ein entwaffnendes Schmunzeln. Natürlich konnte er nicht wissen, wie schwierig sich das Zusammenleben mit Tom Hamilton gestaltet hatte. „Nein. Er hat nur Originale gemalt.“
Weil Kyle ihr seine volle Aufmerksamkeit schenkte, begann ihre Hand mit dem Foto darin zu zittern. Er war ihr zu nahe und dominierte den kleinen Raum zu sehr. Es wurde höchste Zeit, sich geschäftlichen Dingen zuzuwenden, und zwar im Esszimmer. Dort konnte sie für ausreichende Distanz zwischen ihnen sorgen.
Sie sammelte die Aufnahmen ein und verstaute sie in den Schachteln. „Wollen Sie heute noch an die Arbeit gehen?“, fragte sie betont nüchtern. „Ich habe versucht, die Unterlagen, die Mike mir geschickt hat, chronologisch zu ordnen. Aber einige Sachen sind nicht datiert. Es liegt alles im Nebenzimmer. Wollen wir anfangen?“
„Gern.“ Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „Obwohl ich Sie um einen Gefallen bitten möchte, bevor ich mir ansehe, auf was ich mich eingelassen habe.“
„Muss das sein?“ Sie runzelte die Stirn in gespieltem Ernst. „Da Sie mir den leckeren Kuchen mitgebracht haben, kann ich wohl nicht Nein sagen.“
Er drehte sich vollends zu Lili um. Als ob er die volle Kraft seiner Persönlichkeit auf sie richtete, verlangte er ihre volle Aufmerksamkeit.
„Ich habe Ihre Mutter sehr bewundert“, eröffnete Kyle. „Was ich in meiner Widmung geschrieben habe, ist ehrlich gemeint. Sie war eine Inspirationsquelle für mich. Deswegen soll dieses zweite Buch ebenso Ruth Taylor Hamiltons Geschichte werden wie meine. Und dafür brauche ich Ihre Hilfe.“
Er blickte ihr tief in die Augen, die ihn an einen Winterhimmel erinnerten. „Ich fürchte, ich war nicht besonders höflich, als Mike uns letzte Woche miteinander bekannt gemacht hat. Dafür entschuldige ich mich. Ich könnte meinen Jetlag als Ausrede anführen, aber ich verhalte mich eigentlich schon immer wie ein Elefant im Porzellanladen. Ich wusste bis dahin wirklich nicht, dass Ruth eine Tochter hatte.“
Er umklammerte die Stuhllehne, bis seine Knöchel weiß hervortraten. „Ich will schnellstens nach Nepal zurück. Kann ich Sie irgendwie überreden, mehr Zeit für mich aufzubringen, damit wir schon in zehn Tagen mit diesem Buch durch sind? Bitte! Sagen Sie mir nur, was ich dafür tun muss. Ich bin zu allem bereit.“
Verblüfft und nachdenklich musterte Lili ihn. Sie beabsichtigte ganz gewiss nicht, diesem Buch hundert Prozent ihrer Zeit zu widmen. Doch je früher sie die Arbeit beendeten, umso früher konnte er aus ihrem Leben verschwinden und sie wieder in ihr normales ruhiges Dasein zurückfinden. Und das wollte sie doch, oder?
Zum Teufel mit diesem Mann – dafür, dass er mich so aufwühlt! „Aber es gibt eine Menge Material zu durchforsten. Wissen Sie eigentlich, was Sie da von mir verlangen?“
„Keine Ahnung.“ Kyle wedelte mit einer Hand. „Wie gesagt, ich kann bloß mit zwei Fingern tippen. Ich schaffe gerade mal ein paar Zeilen pro Woche für mein Blog. Alles andere schreibe ich per Hand. Unglaublich, ich weiß, aber wahr. Und deswegen brauche ich Ihre Hilfe!“ Und dann spielte er seine Trumpfkarte aus – mit einem Lächeln schaltete er seinen Charme ein und drehte ihn voll auf.
Lili konnte nicht länger an sich halten und brach in schallendes Gelächter aus. „Haben Sie etwa Erfolg damit, dass Sie sich dermaßen mitleiderregend als Zweifingertipper outen?“
„Eigentlich schon. Es gibt nicht viele Mädchen, die mich abweisen.“ Er verzog das Gesicht in gespieltem Entsetzen. „Ich habe bisher noch keine Beschwerden zu hören bekommen. Fanden Sie es denn so schlimm?“
Sie nickte.
„War meine Darstellung wirklich so erbärmlich?“
Sie nickte erneut.
„Ich bin am Boden zerstört.“ Kyle seufzte laut. „Anscheinend war ich zu lange weg vom Fenster.“
Lili beobachtete, wie seine Draufgängerfassade plötzlich abbröckelte. Der verspielte Charmeur verschwand hinter einer ernsten Miene. Die Schatten unter den Augen und die vorstehenden Wangenknochen kamen jetzt überdeutlich zum Vorschein. Die Veränderung erfolgte so plötzlich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Er wirkte erschöpft – und war es vermutlich auch.
Sie beschloss, sich seiner zu erbarmen und das umwerfende Lächeln, ohne das der Raum viel düsterer wirkte, auf sein Gesicht zurückzuzaubern. „Keine Sorge, Sie haben Ihre Attraktivität nicht verloren, aber es gibt zwei gute Gründe, weshalb Ihre Bitte von Anfang an zum
Weitere Kostenlose Bücher