Abenteurer sucht Frau fürs Leben
reihenweise Ärzte hier aufzutauchen und zu jeder Tages- und Nachtzeit um freie Unterkunft und Verpflegung zu bitten. Außerdem helfen Sie mit, einen neuen Flügel für das Hospiz zu errichten. Das bringt Ihnen eine beachtliche Anzahl Bonuspunkte ein. Also machen Sie sich keine Sorgen über meine Freunde im Dorf. Es sei denn …“ Sie verstummte, neigte den Kopf zur Seite und lächelte frech.
„ Es sei denn ? Bitte sprechen Sie weiter. Diese Enthüllungen sind sehr aufschlussreich.“
„Es sei denn, Sie befürchten, dass Sie meinen weiblichen Reizen nicht ganze zehn Tage widerstehen können, Dr. Munroe. Ist es das, was Ihnen Kopfzerbrechen bereitet? Oder haben Sie Angst davor, dass Ihre Freundin hier auftauchen und Theater machen könnte?“
Er grinste. „Ich habe weder Freundin noch Ehefrau zu befürchten. Nur die Presseleute, die mir in der letzten Woche wie Bluthunde gefolgt sind. Die könnten unser Arrangement zu pikant finden, um es zu ignorieren. Ich kann mir die Schlagzeilen bereits lebhaft vorstellen.“
„Ein guter Gesichtspunkt“, gab sie zu, „aber überlassen Sie das ruhig der Nachbarschaft von Kingsmede. Die kann ganz schön zur Sache gehen. Die Medienfuzzis würden gar nicht wissen, wie ihnen geschieht.“
Sie kicherte unwillkürlich bei dem Gedanken daran, was so alles geschehen konnte, wenn Großstadtpaparazzi versuchten, den Mittagsgästen im Feathers schlüpfrigen Klatsch zu entlocken. Ihre Patentante war dafür bekannt, sehr wirkungsvoll das Nudelholz zu schwingen, wenn sie es für nötig hielt.
Kyle wirkte nicht überzeugt.
„Wollen Sie das Budget der Stiftung unnötig für teure winzige Shampoofläschchen und üppige Frühstücksbüfetts strapazieren? Oder möchten Sie hier die Ruhe genießen, die Sie dringend brauchen, und dabei riskieren, Ihren heiligen Ruf für immer zu ruinieren? Ich würde Belle sogar auftragen, sich hin und wieder von Ihnen streicheln zu lassen – als Teil Ihrer Entspannungstherapie.“
Er sagte nichts dazu.
„Mir gefällt nicht, dass Sie so schweigsam sind. Gibt es noch einen anderen Grund, weshalb Sie nicht bleiben wollen? Ich fange allmählich an, mich für meine eigene Idee zu erwärmen. Was hält Sie davon ab? Heraus mit der Sprache!“
Was hält mich eigentlich wirklich davon ab? Diese Frage spukte Kyle im Kopf herum.
Seit zehn Jahren trieb er sich zu Höchstleistungen an. Er nahm jeden Auftrag an, der sich ihm bot – ganz egal, wie hoch das Risiko war und wie weit entfernt der Einsatzort lag. Dschungel, Wüste, Hochgebirge – nichts schreckte ihn ab. Tag für Tag musste er sich beweisen, dass er im Leben der Menschen etwas bewirken konnte, dessen einzige Hoffnung auf Gesundheitsfürsorge die Stiftung war.
Und er erreichte sehr viel. Immer und immer wieder. Warum war es ihm nicht genug?
Weil es mir in all den langen Jahren nicht gelungen ist, mir selbst zu beweisen, dass Ruth Taylor Hamilton nicht umsonst gestorben ist.
Er hätte den Einsatzwagen an jenem Morgen fahren sollen, als Ruth auf eine von Landminen gespickte Landstraße abgebogen war, um einem Militärkonvoi auszuweichen. Er hätte an jenem Tag sterben sollen, nicht Ruth. Und deshalb arbeitete er Tag für Tag und Stunde um Stunde, um sich selbst davon zu überzeugen, dass dem Schicksal nicht ein furchtbarer Fehler unterlaufen war.
Und nun hatte die Vorsehung ihm einen grausamen Streich gespielt und ihn an den letzten Ort auf dem Planeten geführt, den er je aufzusuchen erwartet hätte: in das Haus und die Familie, die Ruth zurückgelassen hatte. Damit er über die schlimmsten – und die besten – neun Monate seines Lebens schreiben konnte.
Von Kopf bis Fuß musterte er Ruths Tochter, die er kaum kannte und die so voller Überraschungen steckte, dass er gar nicht mithalten konnte. Was würde sie sagen, wenn sie die Wahrheit wüsste? Würde sie mich immer noch dazu einladen, hier abzusteigen – auf ihrem Familienanwesen?
Oder hatte das Schicksal einen weiteren Trick auf Lager? War Lili Hamilton das letzte fehlende Puzzleteil? War sie die Lösung des Rätsels, wie er die Vergangenheit hinter sich lassen konnte?
In seinem ganzen Leben hatte Kyle sich noch nie vor einer Herausforderung gedrückt. Doch nun, als er in diesem stillen Raum stand und wie gebannt auf die dicken Wollsocken einer jungen Frau starrte, die ihre Familie verloren hatte, da fühlte er sich wie am Rande eines Abgrunds. Der Abgrund führte geradewegs in eine erschreckend unbekannte Welt, in der sein Herz
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