Aber bitte mit Sake
Zugfahrten, auch ich habe mir daher eine der typischen Lunch-Schachteln gekauft, die mit Reis, Fleischstücken oder Fisch, eingelegtem oder gekochtem Gemüse und Salat gefüllt ist. Im Zug werfe ich einen Blick in meinen Reiseführer:
Südlich vom Fuji, dem höchsten Berg Japans, und 90 km westlich von Tokio befinden sich in der Gegend um Hakone Seen, Berge und Onsen, heiße Bäder. Ein ruhiger Ort, zumindest von Montag bis Freitag, wenn der Strom von Wochenendbesuchern abgereist ist. Die meisten Gäste benutzen den Hakone-Tagespass, um mit der Seilbahn zu fahren oder auf einem historischen Schiff einen der Seen zu überqueren. Bei gutem Wetter hat man von hier aus einen fantastischen Blick auf den Mount Fuji.
Ich lege mein Buch zur Seite und schaue aus dem Fenster. Draußen fliegt die Landschaft vorbei. Ab und zu erkenne ich ein paar Häuser; sie sind klein und flach und architektonisch nicht sonderlich ansprechend. Im Gegensatz zu den Wolkenkratzern in Tokio sehen sie nicht so aus, als würden sie ein weiteres Erdbeben überstehen.
Dann muss ich umsteigen, vom Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen in die Hakone Tozan Railway, einen Bummelzug. Die Schmalspurbahn bringt mich nach einiger Wartezeit auf dem reizlosen Bahnhof nach Hakone. Es ist windig. Langsam bahnt sich die zugkräftige Maschine ihren Weg durch die Berge. Ich bin die einzige Europäerin in meinem Waggon. Meine Mitreisenden haben ihre Köpfe an die Scheiben gelehnt und schlafen, teilweise mit offenen Mündern. Ein kleines Kind hat sich auf dem Schoß seiner Mutter zusammengerollt. Seine Schuhe stehen, die Spitzen sorgfältig ausgerichtet, vor der Sitzbank. Kurz bevor ich ebenfalls einnicke, erreichen wir den Bahnhof von Hakone.
Ich verlasse das Bahnhofsgebäude. Es ist kalt. Auf dem Vorplatz wachsen der Kälte trotzend Orangen an einem Strauch. Ihre kräftige Farbe leuchtet verlockend in der Januarkälte. Mich überfällt das dringende Bedürfnis, eine von ihnen zu pflücken. Nur wenige Schritte von den Früchten entfernt liegt mein Hotel. Nach dem Check-In, der dank der Buchung durch meine Redaktion auch ohne Japanischkenntnisse reibungslos verläuft, strande ich vor einer Regalwand, die mit Stapeln von Kimonos gefüllt ist. Auch die Gäste, die den Eingangsbereich des Onsen durchqueren, tragen die traditionelle japanische Kleidung.
»Kimono, für mich?«, frage ich einen der Angestellten, der gerade vorbeieilt.
»No Kimono! Yukata!« Er bleibt stehen, mustert mich und scheint meine Größe abzuschätzen. Dann greift er einen geblümten Stapel vom obersten Brett und reicht mir zwei der Gewänder, gemeinsam mit einem gelben Band und einem Paar Holzschuhen. »Yukata. Sommerkimono.« Er verbeugt sich und eilt weiter, während ich nach meinem Raum suche.
Mein Hotelzimmer ist traditionell japanisch eingerichtet.
Es ist mit beigen Matten ausgelegt, vor dem Fenster steht ein niedriges Tischchen, an dem man im Schneidersitz auf flachen Kissen Platz nehmen kann. Auf der Tischplatte steht eine Kanne mit heißem Wasser und eine Teedose. Auf den Tatami-Matten, die den Boden des Raumes bedecken, liegt eine dünne Futonmatratze. Durch die Glastür trete ich auf den Balkon, auf dem eine hölzerne Wanne zum Baden im Freien einlädt. Neben den Gemeinschaftsbädern eine Möglichkeit, sich in aller Abgeschiedenheit zu entspannen. Schnell schlüpfe ich in den Yukata, schlinge ihn um meinen Oberkörper und zurre ihn mit dem gelben Band zusammen. Dann suche ich die Bäder. Während ich über schmale Holzwege durch den Garten irre, begegne ich ein paar Japanern, die mir verstohlene Blicke zuwerfen, bevor sie hinter vorgehaltener Hand etwas tuscheln. Am Eingang eines Bades fängt mich eine ältere Dame ab und versperrt mir den Weg. Aufgeregt redet sie in japanischer Sprache auf mich ein. Dann öffnet sie ihren Yukata. Ich bin irritiert. Gibt es in Japan weibliche Exhibitionisten?
»Tote Menschen!« Sie deutet auf meine Brust. Einen Moment bin ich verwirrt, dann begreife ich, dass ich meinen Yukata wohl falsch gebunden habe. Ich überlasse meinen Sommerkimono der alten Dame, die ihn hurtig öffnet und die linke Seite über die rechte legt. Dann nickt sie zufrieden und eilt davon. Ich nehme mir fest vor, an Bord des Peaceboats einen englisch sprechenden Menschen aufzutreiben, den ich fragen kann, was das zu bedeuten hat. Dann öffne ich die Tür zum Bad und stehe unvermittelt vor ein paar nackten Frauen. Aufgeregtes Stimmengewirr schlägt mir entgegen. Es dauert einen
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