Aber bitte mit Sake
doch plötzlich öffnet sich eine Tür am anderen Ende des Ganges. Aus der Entfernung kann ich sehen, wie ein Mann heraustritt. Er hat schulterlange, weißgelockte Haare, die ihm am Stirnansatz langsam ausgehen, und trägt einen Bart. Ich schätze ihn auf ungefähr sechzig. Er trägt khakifarbene Shorts und ein Peaceboat -T-Shirt; die Schuhe fehlen. Und das Wichtigste: Er ist kein Japaner. Asiatisch sieht er jedenfalls nicht aus. Sein Gesicht erhellt sich, als er mich bemerkt. Barfuß kommt er auf mich zugelaufen.
»Na, kannst du auch nicht mehr schlafen?«, fragt er freundlich, als er vor mir stehen bleibt.
»Nicht mehr ist gut. Ich habe noch gar kein Auge zubekommen. All diese Geräusche halten mich wach, ich habe das Gefühl, das Schiff bricht auseinander.«
»Ach was. Das alte Peaceboat kann das vertragen. Ich kenne den Dampfer wie meine Westentasche. Ich bin übrigens Henry.« Er klopft mir auf die Schulter.
»Dana«, antworte ich erschöpft. »Du bist also der berühmte Henry, von dem mir Kimiko schon erzählt hat!« Henry nickt geschmeichelt. »Ja, das bin ich. Henry aus Tahiti. Und woher kommst du?«
»Aus Deutschland. Ich bin Journalistin. Und beruflich hier.«
»Ihr fleißigen Deutschen. Rund um die Uhr im Einsatz. Schön, jemanden um diese Uhrzeit anzutreffen. Ich stehe jeden Morgen so früh auf, normalerweise streife ich mutterseelenallein durch das Schiff, nur ab und zu begegne ich einem der Crew-Mitglieder, die aufräumen oder das Frühstück vorbereiten.«
»Warum schläfst du denn nicht einfach länger?«, frage ich erstaunt.
»Ich brauche einfach nicht so viel Schlaf. Das kommt mit dem Alter. Senile Bettflucht. Außerdem habe ich sonst das Gefühl, etwas zu verpassen.«
»Um vier Uhr früh? Ja, da geht natürlich einiges«, antworte ich ironisch. Henry grinst mich an.
»Ja, ja. Vermutlich hast du recht. Ich habe mich einfach daran gewöhnt. Ich wache von allein um diese Uhrzeit auf. Und dann hätte ich wahnsinnig gerne einen Kaffee. Aber den gibt es offiziell erst ab sechs. Und obwohl sie die heißen Getränke schon vorher zubereiten, weigern sie sich, mir etwas davon zu geben. Die Regeltreue der Japaner geht mir manchmal echt auf die Nerven.«
»Das kann ich mir vorstellen. Und trotzdem kommst du immer wieder?«
»Ja, das Peaceboat ist so etwas wie mein zweites Zuhause. Irgendwie mag ich die Japaner ja auch. Und das Konzept der NGO ist gut. Wir haben ähnliche Ziele. Ich finde es wichtig, sich für Völkerverständigung und Frieden einzusetzen – und das macht das Peaceboat . Es ist ein großer Unterschied, ob man auf dem Schiff einer Nicht-Regierungsorganisation mitfährt, oder auf einem kommerziellen Kreuzfahrtschiff. Auf diesen Luxuslinern muss man doch ständig Anzug und Krawatte tragen. Und dann diese lästigen Animateure. Ständig wollen sie einen bespaßen, in einer ohrenbetäubenden Lautstärke.«
»Und das ist auf diesem Schiff anders?«, hake ich nach.
»Ja. Natürlich gibt es hier auch jede Menge Events und Veranstaltungen, aber sie werden einem nicht aufgedrängt. Und die Japaner sind angenehm still. Außerdem belegen sie die Poolliegen nicht mit ihren Handtüchern, so wie ihr Deutschen das macht. Sie mögen nämlich keine Sonne, von daher hat man die Jacuzzi fast die ganze Zeit für sich allein!« Er lacht schallend. »Es sind also auch profane Gründe, weshalb ich lieber mit dem Peaceboat fahre, auch wenn mich die Japaner mit ihren Eigenarten manchmal fast um den Verstand bringen. Deshalb versuche ich auch ab und an, mich ihren Regeln zu entziehen oder sie ein bisschen von meiner Mentalität zu überzeugen …« Henry denkt einen Moment nach, als wollte er noch etwas hinzufügen, aber er scheint es sich anders überlegt zu haben, denn er setzt sich in Bewegung. »Ich wollte kurz raus an Deck, ein bisschen frische Luft schnappen. Magst du mitkommen?«
»Ja, warum nicht.« Ich folge dem Tahitianer, der, natürlich immer noch ohne Schuhe, vor mir herläuft, bis wir das Deck erreichen. Es ist windig und das Hawaii-Hemd, das er sich über ein weißes T-Shirt gezogen hat, flattert um seinen Körper. Gemeinsam schlendern wir über den Jogging-Track, bis wir am Bug des Schiffes ankommen. Henry zeigt auf eine Treppe, die durch eine Kette versperrt ist, an der ein Schild mit der Aufschrift Crew only hängt.
»Hier geht es zur Brücke. Ich nehme dich mal mit da hoch. Am liebsten würde ich sie dir sofort zeigen. Eigentlich ist das auch kein Problem, ich kann ganz gut mit dem
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