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Aber bitte mit Sake

Aber bitte mit Sake

Titel: Aber bitte mit Sake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Phillips
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anderen sagen. Seitdem laufe ich barfuss, und ich sage dir eins: Das ist ein gutes Gefühl! Ich bemerke es nicht einmal mehr, wenn andere mich schief anschauen.« Zugegeben, auch ich habe Henry vorhin in die Schublade komischer Kauz gesteckt, als ich ihn mit bloßen Füßen über den Gang wandeln sah. Dabei scheint er ein ganz normaler, intelligenter, netter Mann zu sein. Jedenfalls kann ich seine Argumente ziemlich gut nachvollziehen. Ich nehme einen tiefen Schluck aus meiner Bierdose. Japanisches Bier. Gemischt mit dem Meersalz in der Luft eine durchaus originelle Kombination. »Wahrscheinlich hast du recht. Ich sollte die kommenden Wochen nutzen, um herauszufinden, was ich will.«
    »So gefällst du mir schon viel besser.« Henry lacht mich an. Wir leeren unsere Bierdosen, dann steht er auf. »Ich brauche noch ein bisschen Bewegung. Ich kann nicht gut still sitzen. Du kannst mich aber gerne begleiten.«
    »Ich glaube, ich versuche jetzt noch mal, einen Moment zu schlafen. Danke, dass du mir zugehört hast.« Es hat gutgetan, mit Henry zu reden. Ich blicke ihm nach, und als er in der Dunkelheit verschwunden ist, kehre ich in mein Zimmer zurück und lege mich wieder in mein knarzendes Stockbett.
    Kurz nachdem ich völlig erschöpft in einen unruhigen Schlaf gefallen bin, höre ich ein sanftes Säuseln an meinem Ohr.
    »Dana-san. Wachen Sie auf!«
    »Mmmmrmpf«, brumme ich, ohne mich von der Stelle zu rühren.
    »Dana-san«, ertönt es erneut. Langsam hebe ich den Kopf und drehe ihn von der Wand weg auf die andere Seite, wo sich gerade Kyoko vor mir verbeugt. Verschlafen blicke ich auf meine Armbanduhr. 5:48 Uhr. Das kann nicht sein. Ist sie vielleicht stehen geblieben? Eigentlich unmöglich, immerhin lädt sich die Automatikuhr durch Bewegung auf – und Wellengang hatten wir nun wirklich genug!
    »Wie spät ist es?«
    »Kurz vor sechs. Gleich beginnt die Tai-Chi-Stunde.«
    Ich gähne herzhaft und schaue Kyoko irritiert an. Sie scheint hellwach zu sein und trägt bereits ein schickes Sportoutfit und eine Schirmmütze. »Tai Chi? Um diese Uhrzeit? Es ist mitten in der Nacht!«
    »Natürlich. Ein rollender Stein setzt kein Moos an. Und wir sind spät dran. Ich möchte, dass wir einen guten Platz bekommen.«
    »Wir?«
    » Hai , ja, kommen Sie denn nicht mit?«
    Ich ignoriere ihre Frage und streiche mir die Haare aus dem Gesicht. »Da ist um diese Zeit doch sowieso kein Mensch.«
    »Aber selbstverständlich! Stellen Sie sich nur vor, wie unhöflich das wäre! Da bietet jemand einen Kurs an und niemand greift auf das Angebot zurück. Alle gehen zum Tai Chi. Es ist gut für Körper und Geist.«
    »Das mag ja sein, aber selbst wenn ich wollte, bin ich mir sicher, dass mein Körper gerade nicht auf meinen Geist hört. Kyoko, seien Sie nicht böse, aber ich habe wegen des Wellengangs kaum ein Auge zubekommen. Ich kann um diese Uhrzeit einfach keinen Sport machen. Lassen Sie mich noch ein bisschen schlafen, bitte. Treffen wir uns doch einfach zum Frühstück, wenn Sie fertig sind.«
    »Na gut, wie Sie wünschen. Aber Sie sollten es wirklich einmal ausprobieren. Nur so bringen Sie Körper und Geist wieder in Einklang.«
    »Nachdem ich einunddreißig Jahre ohne Tai Chi überlebt habe, hat das bestimmt noch Zeit bis morgen.« Ich gähne erneut und drehe mich wieder auf die andere Seite.
    Zwei Stunden später quäle ich mich aus dem Bett, um meinem Versprechen nachzukommen, gemeinsam mit meiner Zimmergenossin zum Frühstück zu gehen.
    »Warum gibt es denn nur bis neun Frühstück?«, frage ich Kyoko, die sich bereits am Buffet bedient.
    »Nur? Sie haben doch zwei Stunden Zeit für das Choshoku , das Frühstück.«
    »Ja, aber wir sind doch schließlich im Urlaub. Da will man doch ausschlafen …«
    »Ausschlafen? Dafür haben wir Japaner keine Zeit. Wie soll man denn ein Teil der Gesellschaft sein und ihr möglichst viel Zeit zugute kommen lassen, wenn man morgens zu spät aufsteht? Langschläfer sind mir äußerst suspekt«, entgegnet Kyoko, während sie sich ein Tablett und Stäbchen nimmt und sich von der Bedienung hinter dem Buffet eine Suppe und eine Schüssel Reis reichen lässt. Auch mir gibt sie beides herüber. Ich bin verwirrt. Ist es schon Zeit fürs Abendessen? Ich lasse meinen Blick über die angebotenen Speisen gleiten. Das Einzige, was für mein Empfinden zum Frühstück passt, sind eine große Schüssel mit geschnittenen Orangen und ein Topf mit gekochten Eiern. Ansonsten entdecke ich nichts, was sich in

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