Aber bitte mit Sake
Kapitän, aber vielleicht sollten wir die Regeln nicht gleich in der ersten Nacht brechen. Auch wenn ich ein großer Freund davon bin, mich über die japanischen Anordnungen hinwegzusetzen.« Er grinst mich an und weist auf einen Austritt, der nicht mit dem grünen Rasenteppich ausgelegt ist, der sonst den Boden bedeckt. »Hier können wir uns einen Moment hinsetzen. Es ist windgeschützt, und außerdem haben sie die alten Holzdielen liegen gelassen. Ich verstehe wirklich nicht, warum man sich dazu entschieden hat, das wunderschöne alte Holz unter diesem Golfteppich zu verstecken.«
»Ja, seltsam, oder?« Henry nickt, dann dreht er sich um. »Warte einen Moment, ich bin in zwei Minuten zurück.« Er verschwindet in der Dunkelheit, während ich mich auf den Planken niederlasse. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, hier zu sein, so weit weg von zu Hause, mitten auf dem Pazifik, fast am anderen Ende der Welt. Ich starre auf das Meer hinaus, kann aber nicht viel erkennen. Die Nacht ist tiefschwarz, der Himmel wolkenverhangen und der Mond scheint nur als schmale Sichel vom Firmament. Obwohl wir gerade mal vierzehn Stunden von Yokohama entfernt und die Temperaturen in den japanischen Gewässern noch ziemlich winterlich sind, friere ich nicht. Meinen Kopf an die Wand gelehnt, lasse ich das Schwanken des Schiffes über mich ergehen. Dann taucht Henry wieder aus der Dunkelheit auf und hält mir eine Dose Bier hin.
»Hier, für dich.«
»Danke.« Ich mag eigentlich kein Bier, aber ich will nicht unhöflich sein, außerdem genieße ich es einfach, nicht allein zu sein. Wir prosten uns zu, dann blickt Henry mich nachdenklich an.
»Du siehst traurig aus«, stellt er fest.
»Ach, ich weiß auch nicht. Eigentlich habe ich mich auf diese Reise gefreut, aber …« Ich halte inne, weil ich nicht weiß, wie viel ich ihm erzählen soll. Immerhin habe ich ihn gerade erst kennengelernt.
»Aber du bist unglücklich verliebt.«
»Steht mir das auf die Stirn geschrieben?«
»Wenn ein Mädchen so traurig schaut, kann eigentlich nur ein Mann dahinterstecken.« Nach kurzem Überlegen erzähle ich ihm die ganze Geschichte von Raffaele und mir.
»Und weißt du, das Problem ist, dass wir uns wirklich mögen, aber eine Beziehung zwischen Deutschland und Italien aufrechtzuerhalten ist schwierig. Ich würde mir wirklich wünschen, dass er nach Deutschland zieht, aber er fühlt sich nicht wohl in meiner Heimat. Und ich weiß nicht, warum.«
»Manchmal ist es schwierig mit der Liebe zwischen den Kulturen, so sehr wir uns auch alle einreden, wie offen und tolerant wir sind. Ich glaube, tief in unseren Herzen können wir eben doch nicht aus unserer Haut und wollen dort bleiben, wo wir aufgewachsen sind. Schau mich an! Ich bin viel unterwegs, wirklich ständig auf Reisen. Immer im Namen der Völkerverständigung, und ich könnte mich sicherlich an einem anderen Ort, zum Beispiel in Japan noch viel besser dafür einsetzen. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, woanders zu leben als auf Tahiti.«
»Du kommst aus Tahiti? Das muss wunderschön sein. Ich bin schon so gespannt!«
»Ja, dort ist mein Zuhause, dort bin ich aufgewachsen. Und ich würde niemals von dort wegziehen – für keine Frau der Welt.« Einen Moment lang ist es still, nur das Rauschen des Windes und der Wellen liegt in der Luft. »Ich war mal eine Weile weg. Habe in Tokio gearbeitet. Aber auf Dauer hat es nicht geklappt, ich konnte mich mit der Mentalität einfach nicht anfreunden«, erklärt Henry dann. »Aber so eine Reise ist etwas anderes. Du hast jetzt die Möglichkeit, in eine andere Kultur einzutauchen, Abstand von Altem zu gewinnen, Menschen kennenzulernen, die du sonst wahrscheinlich niemals treffen würdest und trotzdem die Gewissheit, am Ende wieder im sicheren Hafen einzulaufen. Versuch dich zu öffnen, über deinen Schatten zu springen, dich frei zu machen von den Zwängen, die dir von Zuhause mitgegeben wurden. ›Normal‹ gibt es nicht. Das ist es auch, was die Japaner auf dieser Reise lernen sollen. Die meisten von ihnen haben ihre Heimat nämlich noch nie verlassen.« Sein Blick fällt auf seine nackten Füße. Er wackelt mit den Zehen. »Sieh mich doch an. Viele Leute halten mich bestimmt für einen Spinner, weil ich immer barfuss herumlaufe. Nur weil unsere Gesellschaft es vorschreibt, Schuhe zu tragen, finden die Leute es merkwürdig, wenn sich jemand anders verhält. Ich habe mich irgendwann dazu entschieden, nicht mehr darauf zu hören, was die
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