Aber dann kam der Sommer
und er liebte mich und wollte nichts anderes, als mich glücklich machen. Also war das Wichtigste in Ordnung, und was es sonst an Unstimmigkeiten zwischen uns gab, das würden Zeit und Liebe wohl noch ausräumen.
Am Karfreitag waren wir zum Mittagessen bei Tante Hanna in ihrem gemütlichen, altmodischen Heim, wo ein ganzes Zimmer nur mit exotischen Pflanzen und Vogelbauern ausgefüllt war – große und kleine Vogelbauer, in denen die Weibchen heckten. Jedes Jahr krochen hier die sonderbarsten Vögelchen aus, die Tante Hanna pflegte und aufzog. Sie machte Nester aus Körbchen und Watte und fütterte und versorgte die kleinen Vögel zärtlich wie eine Mutter.
Ich war gern in Tante Hannas Vogelzimmer. Stundenlang konnte ich dort sitzen und den hübschen, munteren Tierchen mit den blanken, schwarzen Äuglein und den schimmernden, bunten Federn zusehen. Immer wieder hatte ich meinen Spaß an den Papageien, die ihre Sätze herplapperten oder an den Zuckerstückchen knabberten, die ich ihnen hinhielt.
„Sei ja vorsichtig!“ schnarrte der Papagei Tommy, und sein Weibchen antwortete – ziemlich sinnlos, fand ich, aber es war das einzige, was sie konnte: „Guten Morgen, meine Herrschaften, haben Sie gut geschlafen?“ Onkel Toralf hatte diese Sätze den kleinen Papageiengehirnen eingehämmert. Er war sehr stolz darauf.
Tante Hanna wollte am Ostersonntag auch gern nach Kollen kommen. „Ich habe Lust, auch Kersti einmal wiederzusehen“, sagte sie. „Das ist Runes Mutter“, erklärte sie mir. „Sie ist ein wundervoller Mensch, sage ich dir. Ich mag überhaupt die ganze Familie sehr gern. In Rune bin ich ja fast ein bißchen verliebt.“ Und Tante Hanna lachte auf ihre gutmütige Weise.
„Ja, er ist bestimmt ein feiner Kerl“, sagte ich.
„Sei ja vorsichtig!“ ermahnte mich Tommy und zwinkerte mir mit einem Auge zu.
*
Als wir am Sonntagmorgen losfuhren, wurden Körbe voll Proviant und Tüten mit Obst mitgenommen. Neben Lönnedal saß Margit – Tante Agnete konnte sich nicht’ vorstellen, auch nur einen Tag ohne Hausmädchen zu sein. Im übrigen war Margit hochbeglückt, auf diese Weise zu einer Extrafahrt in ihr geliebtes Leirstad zu kommen.
Es war eine herrliche Fahrt. Nach einer guten Stunde sahen wir von einem Hügel aus die ganze Gegend von Leirstad vor uns liegen. Es war eine große Halbinsel, flach und fruchtbar. Nur am Ende einer der Buchten erhob sich eine runde Bergkuppe, und dort oben stand Tante Agnetes Sommerhaus.
Breit und geräumig lag es da, weißgetüncht und von Efeu umrankt. Nach Süden hin hatte es eine große Terrasse, und dahinter erstreckte sich der Garten bis ans Wasser hinunter. Dort gab es ein Badehaus, ein Bootshaus, einen Anlegesteg und ein Sprungbrett – kurzum, für einen Sommeraufenthalt ein wahres Paradies!
Das Haus war offen. In der langgestreckten Gartenstube brannte der Ofen, ein mächtiger, weißer Schwedenofen. Borgny Tangen stand in der Tür und begrüßte uns. Sie war ein großes, kräftiges Mädchen, etwa Anfang zwanzig.
Sie begrüßte Tante Agnete höflich und Margit sehr herzlich. Dann zog sie sich mit ihr in die Küche zurück. Die beiden Tanten machten es sich vor dem Ofen bequem, und ich ging auf Entdeckungsreise.
Die Zimmer waren groß, altmodisch eingerichtet und herzerwärmend behaglich. Zum oberen Stock gelangte man durch eine Halle, und auch sie wirkte gemütlich mit ihrem tiefen, breiten Sandsteinkamin an der einen Längsseite. Außer dem großen Wohnzimmer gab es noch ein kleines Eßzimmer und ein Eckzimmer mit Büchern, Bildern, einem Teppich und bequemen Stühlen. Auch ein alter Rauchtisch stand hier mit verräucherten, ehrwürdigen Meerschaumpfeifen in Reih und Glied, einer hübschen geschnitzten Tabaksdose, Aschenbechern und anderen Dingen, die darauf hindeuteten, daß dieser Raum die private Höhle von Onkel Franz gewesen sein mußte.
Im oberen Geschoß lagen eine Reihe kleinerer Zimmer zu beiden Seiten eines langen Flures. Die meisten hatten schräge Wände. Nur eines nicht, und zwar das geräumigste, das nach Süden über dem Gartenzimmer lag. Das war wohl Tante Agnetes Schlafzimmer. Daneben befand sich das Bad.
Ich ging in die Küche hinunter. Sie schien ursprünglich eine hübsche, alte Bauernküche gewesen zu sein. Jetzt war sie modernisiert. Der rostfreie Stahl, der Abwaschtisch, der Kühlschrank und der Elektroherd wirkten stillos darin, aber sie erleichterten das Wirtschaften.
Borgny und Margit ließen ihre Plaudermaschinen auf
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