Aber dann kam der Sommer
andere.
Tante Agnete hätte es wahrscheinlich nicht richtig gefunden, daß ich neben ihrem Küchenmädchen beim Kaffeeklatsch saß. Aber ich fühlte mich so pudelwohl, daß ich keinen Augenblick lang auch nur einen Gedanken an Tante Agnete verschwendete. Ich war nur „Unni“ und nicht „meine Nichte, Fräulein Björk“.
Rune war höflich, aber schweigsam. Ich erzählte Mutter Kersti von meiner Stute Dyveke, wie sie einmal wild wurde und stieg, und wie Rune mir geholfen habe. Mutter Kersti lächelte und nickte, als wollte sie sagen, man brauche ihr nicht zu erzählen, daß Rune stets und überall hilfsbereit sei.
Nachher durfte ich mir die Ställe und die Scheunen ansehen. Am längsten hielt ich mich im Stall auf, und nun war Rune gezwungen, den Mund aufzumachen, denn ich fragte ihn gründlich über die Pferde aus. Mit der Zeit taute er auf und gab gute Ratschläge. Ich war ja selbst Pferdebesitzerin, vielleicht war ich ihm nur deshalb einer Unterhaltung wert, denn es war unüberhörbar, daß er sich nur mit mir als Pferdebesitzerin und nicht als Mensch unterhielt.
Als wir unter der Scheunenbrücke zum Hofplatz zurückgingen, blieb ich plötzlich mit einem erschreckten „Oh!“ stehen. Einer meiner spitzen, hohen Schuhabsätze hatte sich zwischen zwei Steinen festgeklemmt und war nicht mehr herauszubekommen.
So! Na, das war ja heiter! Ich zog und zerrte, aber es nützte nichts. Schließlich mußte ich den Fuß aus dem Schuh ziehen. Da stand ich nun auf einem Bein, denn der Boden unter der Scheunenbrücke war ziemlich feucht, und so ganz blitzsauber pflegt es vor einer Stalltür ja auch nicht zu sein.
„Da werde ich Sie wohl tragen müssen“, sagte Rune. Und so trug er mich bis zum Wohnhaus, wo Borgny angelaufen kam und mir ein Paar Pantoffeln brachte.
Roar hatte mich auch einmal getragen, als ich mit dem Fuß umgeknickt war. Aber er sagte dabei: „Ein Gutes hat die Sache wenigstens, sie gibt mir die Gelegenheit, dich zu tragen.“ Und dann hatte er mich hochgehoben, mich fest an sich gedrückt, mir warm zugelächelt und mich nachher zart und behutsam niedergesetzt.
Aber dieser Bauer hier, dieser ungehobelte Kerl, sagte nur: „Da werde ich Sie wohl tragen müssen.“
Bald darauf kam er mit meinem Schuh an und ging damit wortlos in ein anderes Zimmer. Ich hörte ein paar leichte Hammerschläge. Dann erschien er wieder.
„Bitte schön – hier ist der Schuh!“
Roar wäre niedergekniet und hätte mir den Schuh angezogen. Rune drückte ihn mir bloß in die Hand. Ich sah flüchtig auf sein Gesicht. Er sagte nichts. Sein Blick war fest auf den hohen, spitzen Schuhabsatz gerichtet. – Uff, wie dumm von mir, daß ich nicht die hübschen neuen Sportschuhe aus Seehundfell mit den flachen Absätzen angezogen hatte!
*
Als wir abends wieder in der Stadt waren und ich mit der Tante zusammensaß – sie las, und ich strickte – , gingen mir immer und immer wieder die albernen Worte durch den Kopf: „Da werde ich Sie wohl tragen müssen.“
Tölpel! Nichts mußte er – überhaupt nichts!
Bevor ich mich zu Bett legte, schrieb ich einen ganz besonders langen und herzlichen Brief an Roar.
Aber dann kam der Sommer…
„Ich habe mir überlegt“, sagte Tante Agnete beim Mittagessen, „ich könnte eigentlich nächste Woche nach Kollen hinausziehen. Es scheint, als sollten wir dieses Jahr einen zeitigen Sommer bekommen. Im Juli werde ich wahrscheinlich mit Hanna nach Montebello reisen. Wenn das Wetter schön bleibt, könnte man im Mai und Juni auf Kollen wohnen.“
„Oh, wie herrlich!“ rief ich aus. „Es war so schön auf Kollen.“ Aber dann fiel mir etwas ein. „Ach – Tante Agnete…“ begann ich zögernd. Ich wußte nicht recht, wie ich mich ausdrücken sollte.
„Ja?“
„Du, Tante Agnete, du meintest wohl, daß ich dann nach Hause fahren sollte? – Weißt du, ich habe mich so daran gewöhnt, bei dir zu sein, und darüber habe ich ganz vergessen, daß du mich ja eigentlich nur für den Winter eingeladen hattest. Du brauchst nur zu sagen, wann ich…“
„Nach Hause fahren? Ja, aber warum, in aller Welt, solltest du das?“ sagte Tante Agnete und blickte mich verwundert an. „Du wirst dich doch im Herbst verheiraten. Ach, gut übrigens, daß wir gerade davon sprechen. Ich wollte ja deine Eltern darum bitten, daß sie mich deine Hochzeit ausrichten lassen.“
Etwas in mir sträubte sich dagegen. Meine Hochzeit hier feiern? Nein, daran war irgend etwas schief. Ich
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