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Aber dann kam der Sommer

Aber dann kam der Sommer

Titel: Aber dann kam der Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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vollen Touren laufen. Lönnedal saß auf der Eckbank, trank Kaffee und sah aus, als wolle er sich durch nichts stören lassen. Zum Glück hatte er sich von seiner schweren Grippe wieder völlig erholt. Nach Margits Ansicht allerdings brauchte er auch weiterhin noch ihre fürsorgliche Pflege von früh bis spät. Es war ohnehin Margits Aufgabe, für das Wohl des Hauspersonals zu sorgen, denn Marie hatte ja genug mit Tante Agnete, den Gästen und mir zu tun.
    Borgny war nicht so verschlossen wie ihr Bruder.
    „Sie müssen bald mal kommen und sich bei uns umsehen“, meinte sie lächelnd und zeigte dabei eine Reihe schimmernd weißer Zähne, die mich an der Richtigkeit dessen zweifeln ließen, was ich kürzlich gelesen hatte, nämlich, daß die Norweger den Weltrekord in schlechten Zähnen hielten. „Margit, du bringst Fräulein Björk heute nachmittag mit, ja?“
    Borgny war offensichtlich nicht orientiert über die scharfe Trennung zwischen Herrschaft und Dienerschaft in Tante Agnetes Haus. Ach was, ich hatte Lust, nach Tangen zu gehen. Wenn ich Margit beim Abwaschen half, waren wir im Nu fertig, und dann konnten wir uns drücken, während Tante Agnete Mittagsruhe hielt…
    Gesagt – getan!
    Und ich bereute es nicht. Es war gewiß schön auf Kollen, aber so zu Hause wie auf Tangen konnte ich mich dort niemals fühlen. Tangen war ein wirkliches Heim, ein Heim, wo Menschen wohnten, richtige Menschen, eine richtige Familie, wo jeder seine Arbeit zu verrichten hatte und sie tat, weil es die Väter und Mütter und viele Generationen vor ihnen auch getan hatten. Hier tickte eine herrliche alte, mit Rosen bemalte Standuhr, die auf dem Zifferblatt die zierlich verschnörkelte Jahreszahl 1716 trug. Hier stand ein Webstuhl mit einem angefangenen Stück Leinwand darauf. Hier spiegelte sich der Raum in einem alten, bauchigen Kupferkessel. Und hier saß Mutter Kersti im guten Lehnstuhl am Fenster, grauhaarig und schwachsichtig – aber welch ein wunderbares Gesicht!
    Runzelig und alt war es und doch – wie ausdrucksvoll! Noch nie war mir soviel Ruhe und Harmonie in einem Menschenantlitz begegnet.
    Schlicht und selbstverständlich reichte sie mir ihre Hand, die hart und rissig war, und ich begriff sofort, daß Mutter Kersti im Laufe der Jahre unzählige Gäste in dieser Weise empfangen hatte. Sicher und ruhig bot sie mir einen Platz an, sicher und ruhig begann sie, mit mir zu sprechen. Ihr Verhalten wäre jeder Dame der großen Welt würdig gewesen. Das war Kultur! Oh, Himmel, wären doch Vati und Mutti hier!
    Plötzlich fiel mir etwas Merkwürdiges auf: Zum erstenmal, seit ich von daheim fort war, wünschte ich mir die Eltern herbei. Bisher hatte ich, ehrlich gesagt – und in Mutter Kerstis Gegenwart mußte man ehrlich sein – , oft geradezu eine Erleichterung empfunden bei dem Gedanken, daß Mutti und Vati mich nicht sehen konnten.
    Was waren Ditlefs Charme, Tante Agnetes Reichtum, Onkel Toralfs sogenannte Witze und Christophers Klugheit gegen das hier? Dieses einfache Sitzen in der dämmerigen Stube mit der Balkendecke gegenüber der Frau mit den klugen, freundlichen, alten Augen, die leise, kultivierte Stimme zu hören, die in dem Dialekt der Vorfahren fragte und erzählte – eben soviel fragte, daß es Interesse bewies und keine Neugier, eben soviel erzählte, daß es unterhaltend war und nicht aufdringlich.
    Borgny deckte den Kaffeetisch unter dem Fenster.
    „Ruf nach Rune“, sagte Mutter Kersti, „er schläft gewiß.“ Dann wandte sie sich lächelnd an mich: „Rune hat so viel zu tun“, erklärte sie, „er bewirtschaftet den ganzen Hof ohne eine andere Hilfe als einem halbwüchsigen Jungen. Borgny hat den Haushalt zu versorgen, mehr kann sie nicht übernehmen. Rune muß früh aufstehen und kommt spät ins Bett. Da muß er die Feiertage nutzen, um sich über Mittag auszuschlafen.“
    Ich sagte, daß ich gern einmal die Ställe, die Scheune und den Hühnerhof sehen möchte.
    „Das läßt sich schon einrichten“, sagte Mutter Kersti, „aber macht sich denn eine junge Stadtdame etwas aus einem ländlichen Betrieb?“
    Ich beeilte mich, ihr zu erzählen, daß unser nächster Nachbar daheim Besitzer eines Bauernhofes sei, wo ich seit frühester Kindheit gespielt hätte.
    „Ach so! Nun, dann mag es wohl für Sie recht interessant sein, auch einmal einen Hof in dieser Gegend des Landes kennenzulernen“, meinte Mutter Kersti lächelnd.
    Dann kamen Rune durch die eine Tür und Borgny mit der Kaffeekanne durch die

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