Aber dann kam der Sommer
Tangen und bekam Haferbrei mit Sahne und selbstgebackenes Brot mit frischgekirnter Butter.
Eine Woche lang fand ich mich täglich morgens und abends zum Melken ein. Rune wurde zwar nicht gerade redseliger in dieser Zeit, aber ein Lächeln hier und da entlockte ich ihm doch. Zwischendurch sagte er wohl auch einmal etwas, zum Beispiel, daß ihm Dyveke sehr gut gefiele, und er fragte mich über sie aus.
„Wenn Sie Lust haben, sie zu reiten, dann kommen Sie nur“, sagte ich. Dabei fiel mir erst ein, daß ich bisher noch niemandem gestattet hatte, sich auf Dyveke zu setzen.
„Danke!“ sagte Rune. Und nach einer Pause fügte er hinzu: „Mein Schwarzer ist auch zugeritten. Wenn es Ihnen Spaß macht, könnten Sie ihn ja einmal prüfen. Ich würde gerne hören, was Sie von ihm als Reitpferd halten. Eigentlich war er nur als unser Staats-Wagenpferd angeschafft worden, aber dann dachte ich mir, es müßte ganz nett sein, ihn auch zu reiten.“
„O ja, das möchte ich schon!“ sagte ich. „Denn ob Sie es glauben oder nicht: ich habe noch nie ein anderes Pferd geritten als Dyveke.“
„Ach, darum! Sie sind nämlich gut aufeinander eingespielt, wenn ich so sagen darf. Sie reiten ausgezeichnet.“
Du lieber Himmel – wie freute mich das! Daß Rune überhaupt eine solche Anerkennung aussprach! Und zu mir! Und über mein Reiten! Damit traf er genau ins Schwarze. Mit nichts hätte er mir eine größere Freude machen können.
Am nächsten Sonntag ritt ich nach Tangen. Ich hatte Glück. Rune stand gerade auf dem Hofplatz, als ich ankam. Ja, er wollte Dyveke gern reiten. Dyveke schaute ihn mit ihren schönen Augen prüfend an. Dann wieherte sie leise und rieb ihren Kopf an ihm. Rune saß auf. Gehorsam und ruhig folgte sie seinem Schenkeldruck. Sie ging so gut, daß es die reine Freude war.
Mit mir und dem Schwarzen dagegen sah die Sache schon schlechter aus. Er war ein munteres Jungtier mit einem allzu großen Überschuß an Kraft und Lebenslust. Er tänzelte, sprang und stieg, so daß Rune schleunigst von Dyveke absitzen, herbeieilen und dem Schwarzen ins Zaumzeug greifen mußte.
Jeder bestieg nun sein eigenes Pferd, und wir ritten von Tangen fort und über den Weg zum Dorf.
Die kleinen Mädchen knicksten wie immer, aber diesmal lächelten sie dabei und steckten nicht den Finger in den Mund. Auch die Buben standen wie gewöhnlich am Wegrand, doch sie starrten mir nicht wie sonst mit offenem Mund nach. Sie winkten Rune zu und riefen: „Gu’ Mor’n, Rune!“
Am nächsten Tag, als ich wieder allein ritt, schien es mir, als zeigten mir die Leute freundlichere Gesichter. Es war offensichtlich: Die Tangener hatten mich anerkannt. Und ihre Anerkennung war eine Auszeichnung.
*
Mitte Juni bekam Tante Agnete den Besuch von Tante Hanna. Danach war Tante Agnete ziemlich nachdenklich. Offenbar grübelte sie über etwas.
„Unni“, sagte sie endlich, „Hanna will unbedingt schon nächste Woche mit mir nach Montebello reisen.“
„Oh!“ sagte ich. Ich war furchtbar enttäuscht. „Ja – dann muß ich wohl nach Hause fahren.“
„Ich kann dich natürlich nicht zwingen, hierzubleiben, aber ich glaubte, du würdest mich erst einmal fragen, ob du mir nicht noch irgendwie nützlich sein könntest.“
„Aber Tante Agnete! Liebste, beste Tante, begreifst du denn nicht, daß ich mir nichts auf der Welt mehr wünsche, als hier bleiben zu dürfen? Das konnte ich dir aber doch nicht nahelegen, denn wenn du fort bist, brauchst du mich doch nicht.“
„Im Gegenteil, dann brauche ich dich erst recht. Du hast dich ja als ein ganz vernünftiges Menschenkind erwiesen, so daß ich beruhigter abreise, wenn du das Haus verwahrst. Dann kann Louise jetzt ihren Urlaub nehmen, und ich brauche sie nachher nicht zu entbehren. Es genügt wohl, wenn du und Margit euch des Hauses und Gartens annehmt. Bald sind die Erdbeeren, die Himbeeren und die Schattenmorellen reif und müssen eingemacht werden. Es gibt also viel zu tun. Sonst bin ich ja immer bis zum Juli hier, aber wenn Hanna absolut schon fahren will…“
Oh, geliebte Tante Agnete! Ein Troll, ein Ungeist warst du, denn es sprach der pure Egoismus aus dir. Aber Gottes Segen über deinen Egoismus in diesem Fall!
Die Freuden des Landlebens
In den Tagen des Packens und der Reisevorbereitungen war Tante Agnete nicht gerade sehr umgänglich. Trotz ihrer Reisegewandtheit war sie sichtlich nervös. Alles machten wir falsch. Ich packte ihren Toilettenkoffer, und Louise
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