Aber dann kam der Sommer
liebe Unni!
Ich versteh’ die Welt nicht mehr! Dein Brief war für mich ein Blitz aus heiterem Himmel. Was, in aller Welt, habe ich denn getan? Warum machst Du plötzlich Schluß? Doch wohl nicht wegen der dummen, alten Geschichte mit Lönnedal, der draußen warten mußte, während wir bei Christopher feierten? Das kann es doch wohl nicht sein, was Dich immer noch bedrückt. Sei doch endlich mal ein bißchen erwachsen, Unni! Man bauscht doch nicht eine Stimmung in dieser Weise auf, man löst doch nicht gleich eine Verlobung, weil man gerade mal einen Tag schlechte Laune hat. So scheint es ja bei Dir zu sein, eine andere Erklärung wüßte ich nicht für Deinen merkwürdigen Brief. Ich hoffe und glaube, daß ich bald einen anderen Brief von Dir bekomme, in dem Du alles zurücknimmst, was Du gesagt hast. Jedenfalls werde ich Dir nichts nachtragen und diesen Zwischenfall gern vergessen. Denn ich will nichts anderes als glücklich sein mit meinem geliebten, süßen, kleinen Mädchen. Dein stets treuer
Roar.“
*
War ich mir bisher noch nicht völlig klar darüber gewesen, ob ich richtig gehandelt hatte, so bewies es mir dieser Brief von Roar.
Ich war gerührt und schockiert, ich lachte, schnaubte und weinte auch ein bißchen. Aber ich fühlte mich grenzenlos erleichtert, daß ich diesen Entschluß gefaßt hatte.
Wohin du fährst…
Margit blickte fragend auf den entkleideten Ringfinger meiner linken Hand.
„Ja“, sagte ich, „ich habe Schluß gemacht.“
„Na, Gott sei Dank!“ entfuhr es Margit mit einem Seufzer. „Mir fällt ein dicker Stein vom Herzen.“
„Und ein – Steen – von meinem“, sagte ich, und dann lachten wir beide.
Ich erzählte Margit alles, von meinen Zweifeln und meinen Erkenntnissen, und wie ich die Verlobung gelöst hätte.
„All das habe ich die ganze Zeit deutlich gefühlt“, sagte Margit. „Ich war nur so gräßlich bange, daß du es nicht ebenso empfinden würdest. Gewiß, der Leutnant war schick und nett, aber er paßte nicht zu dir.“
„Und ich nicht zu ihm“, ergänzte ich, „denn er braucht eine Frau, die repräsentieren und ein großes Haus führen kann. Und das brächte ich nicht länger als höchstens ein halbes Jahr lang fertig.“
„Die gnädige Frau wird rasen!“ meinte Margit.
„Das weiß ich“, sagte ich, „aber das muß ich eben ertragen.“
Dann gingen wir in den Garten, pflückten Johannisbeeren und waren so lustig wie immer.
Abends ging Margit aus. Jeden Donnerstag blieb sie sehr lange fort. Selbstverständlich fragte ich nicht, wohin sie ging. Das war ihre Angelegenheit.
Nipp und ich saßen allein auf Kollen. Nipp war ja nun auf Margits und meine Betreuung angewiesen. Er war übrigens lieb und putzig, trippelte überall hinter uns her und war uns sehr zugetan. Ich hörte Radio und strickte und überlegte eben, ob ich nicht bald ins Bett gehen solle, als ich Nipp winseln hörte. Er kroch am Boden zu mir hin, und plötzlich krümmte er sich zusammen und übergab sich.
Ich bekam Angst, denn ich dachte daran, wie sehr Tante Agnete dieses kleine Wollknäuel liebte und wie kostbar der Hund war, und wie unmöglich es sei, wieder ein Exemplar dieser Rasse zu bekommen. Also warf ich mir eine Jacke über und lief nach Tangen.
Aus dem Wohnzimmerfenster strahlte mir Licht entgegen. Leise schlich ich in den Flur und wollte eben an die Tür klopfen, doch da stutzte ich. Irgend jemand sprach drinnen. Es klang, als werde ein Vortrag gehalten. Ich dachte nicht daran, daß es sich eigentlich nicht gehörte zu lauschen, sondern stand mäuschenstill. Nun erkannte ich die Stimme von Sigrid Volden:
„Und im dritten Akt sagt uns die Dichterin die Wahrheit, und zwar in den Worten der armen, schwachsinnigen Magdalena. – Die siegreichen Soldaten feiern, der Feldgeistliche teilt ihre Freude. Aber die Frau des Pastors, Cornelia, eine wunderbare Frauengestalt – meiner Meinung nach eine der besten der norwegischen Dramatik – , sie ist so niedergeschlagen wie nie zuvor und kann an dem Siegesrausch nicht teilhaben. Denn Cornelia ist Humanistin, sie respektiert die Menschen mehr als die Soldaten, und deshalb wird sie von allen verdammt, auch von ihrem eigenen Mann, ja sogar von ihrem Sohn, obwohl er sie sonst immer verstanden hat. Und was Cornelia zu sagen versucht, das sagt Magdalena, das arme, vergewaltigte Mädchen mit dem Kind von dem feindlichen Soldaten. ,Liebt einander’, sagt sie. Dieser Ausspruch bleibt haften, wenn man das Buch
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