Aber Mutter weinet sehr: Psychothriller (German Edition)
beabsichtigte also, Johann freizulassen. Auch Marie durfte sein Gesicht nicht sehen. Sie sollte ihn später nicht identifizieren können. Später, wenn alles vorbei war.
»Was wollen Sie mit meinem Jungen?«
»Ich will ihn nur anschauen. Er soll in meiner Nähe bleiben. Ich tue ihm nichts.«
Marie sah jedes Detail in unnatürlicher Größe. Seine Hände waren klein, fast zierlich, nicht die Hände eines Mörders. Aber wie groß mussten Männerhände sein, damit sie einem Kind Leid zufügen konnten?
Er trug Sportschuhe, wie Marie sah, eine mittlere Größe. Die Beine waren schlank, der Freund war weder groß noch stämmig.
Marie suchte nach etwas, was ihn kennzeichnete. Eine unverwechselbare Eigenart. Aber sie fand nichts. Der Freund war äußerlich ein ganz normaler Mensch. Robert hätte hinter der Mickey-Mouse-Maske stecken können.
»Warum haben Sie mich hierherbestellt?«, fragte sie.
Er ließ die Arme hängen und senkte den Kopf. Richtig jämmerlich sah er jetzt aus. Mit seiner schwarzen Uniform und der bunten Maske. »Ich habe dich bestellt, um dir zu sagen: Du sollst dir keine Sorgen mehr machen. Dein Kind bekommt alles, was es braucht. Und bald wird Johann wieder bei dir sein.«
Sie waren also beim Du. Gut, das war ja auch üblich unter sogenannten Freunden. »Das hättest du mir auch am Telefon sagen können.«
»Wenn die Polizei mithört? Ich wollte dich sehen. Wenn du das nächste Mal kommst, kannst du etwas für Johann mitbringen.«
Sie hatte ihn verärgert. Er grätschte über den Baumstamm und ging davon.
Marie lief hinter ihm her. Schon nach wenigen Metern hatte sie ihn eingeholt. Sie hielt ihn an der Jacke fest. Marie hatte den Eindruck, dass er darauf gewartet hatte. Er wehrte sich nicht.
»Bitte, sagen Sie Johann, dass ich ihn liebe!«, bettelte Marie.
»Ja«, sagte der Freund. »Ich verspreche es.« Er wollte weiter. Marie ließ ihn los. Es hatte ja keinen Sinn, ihn festhalten zu wollen.
»Bringen Sie mir etwas von ihm mit!«, verlangte Marie.
Der Freund drehte sich nicht um. Er sprach im Gehen zu Marie. Sanft und so leise, dass sie Mühe hatte, ihn zu verstehen.
»Übermorgen. Wieder hier. Sagen wir um 18 Uhr. Wenn du jemanden etwas erzählst, töte ich dein Kind!«
12
Marie wusste sofort, was los war. Die beiden Zivilfahrzeuge standen in der Einfahrt. Robert hatte ihnen das Tor geöffnet. Wahrscheinlich hatte er sie sogar gerufen. Er hatte wohl bemerkt, dass sie weg war.
Sie saßen am Küchentisch und brüteten. Zu dritt.
Fürbringer und sein Assistent Bäsch taten so, als wäre ihre Anwesenheit zur Frühstückszeit selbstverständlich. Robert war wütend. Marie spürte, dass er sich sehr beherrschen musste. Wahrscheinlich hatten sie ihm zugeredet. Er solle sich zurückhalten. Eine Eskalation bringe nichts. Sie versprachen sich etwas davon, Marie in Sicherheit zu wiegen. Sie sollte sie zum Entführer führen. Marie war ihr Lockvogel.
Die Kaffeemaschine lief. Marie holte Tassen aus dem Küchenschrank und stellte sie auf den Tisch. »Gibt’s Neuigkeiten?«
Die drei schwiegen.
»Sicher hat es einen Grund, wenn Sie so früh schon hier sind, oder?«
Roberts Hände verkrampften sich ineinander. »Wo warst du?«
»Ich habe eine Radtour gemacht.« Marie verteilte die Unterteller und die Tassen.
»In der Nacht?«
»Ich konnte nicht schlafen.«
Fürbringer stieß seinen Assistenten an. Bäsch stand auf. In seinen Skaterklamotten sah er aus wie ein etwas zu groß geratener Schüler. Er schob ungeschickt den Stuhl zurück und trat auf Marie zu, die gerade die volle Glaskanne aus der Kaffeemaschine nahm.
»Ich kümmere mich um die Technik.« Bäsch wirkte verlegen. Er sollte ihr wohl etwas beibiegen und wusste nicht genau, wie.
»Um welche Technik?«, fragte Marie, ging zum Tisch und schenkte den Männern Kaffee ein.
»Um das Orten des Handys«, sagte Bäsch leise.
Marie verließ die Küche. Auf der Treppe holte er sie ein. »Ich wollte Sie bitten, mir das Handy zu geben. Ihr Mann sagt auch …«
»Welches Handy?«, unterbrach Marie ihn.
»Das Handy Ihres Sohnes. Wir haben Signale aufgefangen. Sie kamen von hier. Wahrscheinlich aus Ihrem Haus.«
Marie stieg die Treppe hinauf. Bäsch war sofort hinter ihr. Die Nähe des jungen Mannes machte sie nervös. Sie wollte ihn loswerden.
»Stimmt, das habe ich ganz vergessen, Ihnen zu sagen. Ich habe Johanns Handy gefunden. Er hat es wohl doch nicht mitgenommen.«
Bäsch starrte sie an. »Das haben Sie vergessen?« Der junge Mann
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