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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Kuhnert
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dieser Zustand hatte auch noch einen Tag nach dem Fest angedauert, was im Dorf natürlich nicht verborgen geblieben und entsprechend kommentiert worden war.
Seine Frau hatte in ihrer Hilflosigkeit gedroht, allen Schnaps, den sie finden würde, ins Klo zu schütten. Und um zu zeigen, dass sie es ernst meinte, hatte sie mit einer Flasche Wodka, die er hinter dem Küchenschrank versteckt hatte, gleich angefangen. Da wäre er total ausgerastet, hatte er dem Doktor zitternd erzählt, und hätte seine Frau solange geschlagen, bis sie regungslos am Boden zusammen gesunken war. Dann hätte er es aber doch mit der Angst zu tun bekommen, hatte er gebeichtet. Er hatte schon vorgehabt, ihn, den Doktor zu Hilfe zu rufen, aber dann hätte er es doch nicht getan, wegen der Schande.
Eine Woche lang war Pauls Frau danach nicht im Stall erschienen, weil sie sich wegen der Blutergüsse im Gesicht und an den Armen geschämt hatte. Dieser Zwischenfall war vielleicht der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Vielleicht hatte es aber auch daran gelegen, dass die Tochter ja nun aus dem Haus war und es für Pauls Frau keinen Grund mehr gab, ihr ohnehin nicht sehr freundliches Leben noch länger mit einem früh gealterten Trinker zu teilen. Paul hatte nach dem fluchtartigen Verschwinden seiner Frau wochenlang noch mehr getrunken als sonst, und das Dorf hatte noch einmal seine kleine Sensation gehabt. Er hatte sich eines Abends im Vollrausch hinter der Kneipe in den Schnee gelegt und war eingeschlafen. Das Thermometer war in diesen Nächten bis zu zehn Grad unter null gesunken und er hätte dieses Nachtlager im Freien wohl nicht überlebt, wenn der Sohn des Traktoristen Joneleit, der wie an jedem Wochenende zwei große Flaschen von dem billigen braunen Schnaps aus der Kneipe holen musste, den schnarchenden Paul nicht im Schnee entdeckt hätte.
    Kinder und Besoffene haben einen Schutzengel, hatte es im Dorf geheißen. Das alles lag nun schon acht Jahre zurück, und Paul war seiner Frau nur noch einmal zum Scheidungstermin in der Kreisstadt begegnet. Es brauchte keinen zweiten Gerichtstermin, weil da nichts mehr zu retten gewesen war. Er war in sein Dorf nahe der Oder zurückgekehrt und sie zu einem neuen Lebenspartner ins Erzgebirge, so weit war sie vor ihm davongelaufen. Zu der Zeit hatte der Alkohol bei Paul bereits starke Spuren hinterlassen und die Spezialeinheit der Polizei gehörte der Vergangenheit an. Die jetzt dort ihren Dienst taten, trugen inzwischen Zivil, auch Paul konnte noch für kurze Zeit anstelle der Uniform einen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte anziehen.
    »Sie haben sich auf seiner Dienststelle wirklich bemüht«, hatte Gisbert mir erzählt, »zweimal haben sie ihn zur Entziehung geschickt, aber nach seiner Rückkehr ins Dorf hing er bald wieder an der Flasche«. Schließlich hatten sie ihm wegen seiner Verdienste der vergangenen Jahre eine Art Hausmeisterposten bei einer nahegelegenen Grenztruppeneinheit verschafft. Jeden Morgen war er mit dem Fahrrad zu dem mit Stacheldraht umzäunten kasernenähnlichen Gebäude gefahren, auf dem Gepäckträger klemmte eine abgeschabte braune Ledertasche mit zwölf Flaschen Bier, seiner Tagesration. Im letzten Sommer war er dann auf dem Weg zur Arbeit vom Fahrrad gestürzt und hatte sich ein Bein gebrochen. Er war ins Krankenhaus eingeliefert worden, weil der Bruch des Oberschenkelhalsknochens kompliziert war.
    Und wieder einmal hatte es im Dorf Gesprächsstoff gegeben: Paul würde nach dem Krankenhaus nicht wieder in das umzäunte Haus zurückgehen, hatte es geheißen, er würde jetzt schon eine Rente bekommen, aus Krankheitsgründen, denn immerhin hätte er ja 25 Jahre voll. Einige boshafte Zungen ersetzten hätte durch wäre . Und außerdem, ein Vierteljahrhundert bei irgendwelchen bewaffneten Organen war schließlich genug.
    Die Stimme der Verkäuferin riss mich aus meinen Gedanken. Sigrun war eine der ersten im Dorf gewesen, die mich mit Du angesprochen hatte. Die junge Frau lebte mit ihrem Mann und ihren drei Kindern am Eingang des Dorfes, und war mit ihrem freundlichen Lächeln, das sie nie verließ, die gute Seele des kleinen Ladens.
    »Ich hab noch ein Schweinefilet zurückgelegt. Soll ich´s dir einpacken?« Obwohl der enge Laden inzwischen leer war, hatte sie wie aus Gewohnheit ihre Stimme gesenkt. Ich winkte lächelnd ab. »Lass gut sein. Ich kann heute nicht an Essen denken, ich will nur deine Mineralwasservorräte aufkaufen.«
    Sigrun nickte

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