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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Kuhnert
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dieser traumhaften Gegend an Tschechow denke und du an Kafka?« Joachim war noch immer etwas ratlos.
    »Vielleicht liegt es daran, dass wir auf verschiedenen Seiten der Mauer leben. Selbst eine simple Jahreszahl löst ja unterschiedliche Assoziationen aus. Ihr denkt bei 1968 an die Studentenrevolte, wir denken an den August 68, und den Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in Prag. Euch fällt der Name Dutschke ein, uns der Name Dubcek.
    »Aber du bist hier zu Hause. Du schreibst für – oder meinetwegen auch gegen etwas in diesem Land. Hier verstehen dich die Leute, wenn deine Figuren auf der Bühne, im Hörspiel oder im Fernsehfilm reden.« Joachim konnte es immer noch nicht begreifen, er argumentierte so leidenschaftlich, als ob er mich von einer grandiosen Idee oder einem Vorhaben überzeugen müsse.
    »Die Charaktere in meinen Texten haben bis gestern gesprochen, inzwischen wird alles daran gesetzt, sie zum Schweigen zu bringen. Sie sind im verordneten Gleichklang nicht länger erwünscht, und nun wird der Autor dafür haftbar gemacht. Und das Verrückte ist, ich wusste, dass ich irgendwann damit zu rechnen hatte.«
    »Tja bei euch Wortakrobaten weiß man eben immer gleich was ihr meint!« Dietmar war im Begriff, die zweite Flasche zu entkorken.
    »Wissen sie es hier im Dorf schon? Falls es die überhaupt interessiert.«
    »Ich werde es ihnen sagen, wenn ich Gewissheit habe. Wie wär´s, wollen wir noch kurz in de Kneip ´ gehen, damit ihr nicht nur die Landschaft, sondern auch die Menschen dazu kennenlernt?«
    »Bin sofort dabei, wenn es da auch ein richtiges Ost-Bier gibt.« Dietmar stellte die halbentkorkte Weinflasche beiseite.
    »Versprich dir nicht zuviel«, erwiderte ich etwas empfindlich, »das Bier wird auch hier mit dem Schaum nach oben serviert.« Joachim wiegelte ab: «Warum auch nicht, das deutsche Reinheitsgebot gilt auf beiden Seiten.«
    Als wir die staubige Dorfstraße entlanggingen, schien Joachim noch immer in Gedanken, und Dietmar fotografierte sowohl das alte als auch das neue Schloss mit einer Kamera, die ein Vermögen gekostet haben musste.
    Auf dem Weg begegnete uns nur die Frau des Traktorfahrers Joneleit, die flüchtig grüßte und hastig an uns vorbei ebenfalls in Richtung de Kneip ´ lief. Wahrscheinlich wollte sie ihren Mann nach Hause holen, bevor der wieder völlig versackte.
    Die Fenster der Kneipe waren weit geöffnet, Rauch und der Geruch schalen Biers zogen nach draußen. Das Stimmengewirr drinnen deutete auf ein volles Haus hin.
    Ich hörte Joneleit brüllen. Er fluchte laut, wurde aber kurz darauf von der schrillen Stimme seiner Frau unterbrochen. Dann öffnete sich abrupt die Kneipentür und der Traktorfahrer trat schwankend ins Freie, mühsam von seiner Frau gestützt. Er sah uns drei mit leerem Blick an, bis er mich erkannte. Ein Ruck ging durch seinen Körper, er machte sich von seiner Frau los und bemühte sich gerade zu stehen, dann zog er mit großer Geste seine Mütze und sagte mit schwerer Zunge: »Einen wunderschenen Sonntag winsche ich den Herren. Schade, dass Sie jetzt erst kommen.
    Ich hätte Sie jerne einjeladen, na, vielleicht dat nächste Mal. Es jibt immer ein nächstes Mal, wenn es diesmal nicht dat letzte Mal jewesen is! Bloß die Weiber versauen einem das janze Leben. Da kannste nuscht machen Jungchen, nuscht.«
    Er stülpte sich seine Mütze wieder auf den geröteten Schädel und schwankte an der Seite seiner Frau laut singend die Dorfstraße hinunter. Mit tenoraler Stimme schmetterte er ein russisches Partisanenlied: »Durchs Gebirge, durch die Steppe zog unsre kihne Division…«
    »Das ist ja ein schräger Typ«, sagte Dietmar grinsend, »der Philosoph, der aus der Kneipe kam. Gibt´s hier noch mehr von der Sorte?« In seinem Tonfall lag ein Hauch von Sensationsgier.
    »Ich hab dir ja schon gesagt, versprich dir nicht zuviel«, wiederholte ich etwas genervt. Ich wollte nicht, dass die Männer aus dem Dorf wie komische Sonderlinge bestaunt würden. Das hatten sie nicht verdient.
    »Du darfst nicht alles so ernst nehmen, was Dietmar sagt.« Joachim hatte meine Verärgerung bemerkt. Er öffnete entschlossen die Tür zur Kneipe und betrat als erster den mit Lärm und Bierdunst erfüllten Raum.
XIX.
    N ach unserem Besuch in de Kneip ´ war ich nicht sicher gewesen, ob die Leute, die wir dort getroffen hatten, in Joachims und Dietmars romantisches Bild einer Dorfidylle passten, die sie hier glaubten gefunden zu haben. Es war mir auch ziemlich gleich, ich war

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