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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Kuhnert
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Schmuckstück im Dorf!« und: »Im nächsten Herbst nehm ich dich mal zur Saujagd mit«, hatte Rudolf mir noch vor einem Monat versprochen. Und ich hatte immer nur zustimmend genickt, auch wenn ich schon zu der Zeit nicht mehr sicher war, wo ich im nächsten Herbst oder in einem Jahr sein würde.
XVIII.
    Z wei Wochen später kam Joachim zu seinem angekündigten Besuch. Anstelle seiner Frau, der mein Haus plötzlich zu weit im Osten lag, hatte er Dietmar, einen befreundeten Maler, mitgebracht. Dessen Bilder waren über Nacht unbezahlbar geworden, wie mir Joachim zugeraunt hatte. Es war ein satt warmer Sommertag gewesen, über den Feldern flirrte die Hitze.
    Wir hatten uns auf die ungemähte wilde Wiese neben dem Haus gesetzt und Joachim sagte immer wieder bewundernd, ob mir bewusst wäre, dass ich hier so etwas wie ein Stück vom Paradies besäße, einen Ort wie aus einer anderen Zeit; das Haus, die kleine Dorfkirche, das Schloss, die stille Landschaft, so stelle er sich den Schauplatz von Tschechows Drei Schwestern , dem Kirschgarten und der Möwe vor. Ich nickte zustimmend und schränkte dann ein: »Was den Ort des Geschehens angeht, stimme ich dir zu, nur die handelnden Personen sind inzwischen andere geworden. Die jungen Mädchen hier haben keine Sehnsucht nach der fernen Hauptstadt, die Adligen haben das Land bereits vor langer Zeit verlassen und der letzte Kammerdiener ist schon seit ein paar Jahrzehnten tot. Allenfalls einen unglücklichen Dichter kannst du hier noch finden.«
    »Soll das heißen, dass du das bist«, mischte sich Dietmar lachend ein. »Wenn ich so ein Haus in der Gegend hier hätte, würde ich tagsüber in diesem irren Licht malen, mir für die Abende ein paar Modelle und schräge Freunde einladen, reichlich Rotwein trinken und meiner Biografie die schrillen Farben verpassen, auf die die Käufer meiner Bilder so geil sind. Das Unglück überlass ich gerne den anderen.«
    Wir hatten bereits eine Literflasche des mitgebrachten italienischen Landweins geleert und Dietmar füllte sofort wieder sein Glas, um wenigstens einen Teil seiner Vision eines paradiesischen Landlebens schon jetzt zu erfüllen.
    »Also, als wir uns vor wenigen Monaten auf der anderen Seite getroffen haben, hast du auf mich nicht gerade den Eindruck eines unglücklichen Dichters gemacht, du schienst total happy, Elias, bei deiner weiblichen Begleitung war das ja auch kein Wunder«, sagte Joachim mit einem leicht ironischen Lächeln.
    »Die Dinge ändern sich; manchmal schneller als man selbst wahrhaben will. Wie heißt es so schön abgedroschen: Sicher ist nur, dass nichts sicher ist«, zitierte ich achselzuckend.
    Dann erzählte ich in knappen Worten, was in den vergangenen Monaten passiert war und dass ich nach längerer Überlegung zu dem Entschluss gekommen sei, dem Halbland zwischen Oder und Elbe den Rücken zu kehren. Den einmaligen Besuch des Hauptmanns Schwarz ließ ich aus. Dennoch stellte ich fest, dass sich alles, was ich sagte, wie eine Rechtfertigung für meinen Schritt anhörte, als wäre es mir wichtig, dass sie verstehen würden, warum ich weggehen wollte.
    Und dann wurde mir plötzlich klar, wie absurd diese Situation für die anderen sein musste. Da saßen wir an diesem Bilderbuch-Sommertag auf einer wilden Wiese neben einem eindrucksvollen Landhaus in einer Gegend, die sie paradiesisch genannt hatten und hörten von mir, dass ich mich von all dem – wovon sie offensichtlich träumten – für immer verabschieden wollte.
    »Und was wird aus dem Haus hier?«, wollte Joachim dann auch wissen. Ich zuckte die Achseln und sagte scheinbar leichthin: »Häuser gibt es auch anderswo. Und vielleicht brauche ich da drüben auch keines mehr.«
    Dietmar schien zu spüren, dass die Stimmung ins Melancholische umzukippen drohte. »Tja, wat dem eenen sin Uhl, is dem andern sin Nachtigall. Schade, ich hätte dein Anwesen gerne für ein paar Wochen gemietet, Bezahlung natürlich in West«, sagte er grinsend.
    Auch er ging wie selbstverständlich davon aus, dass ich ihm mein Haus eher überlassen würde, wenn er in der Währung des Westens bezahlte. Ich konnte ihm das nicht übelnehmen. Dass das Geld der anderen Seite höher gehandelt wurde, war eine grenzüberschreitende Tatsache, die ja sogar hier im Dorf bekannt war.
    »Und wie geht es jetzt weiter?« Joachim schien wirklich interessiert.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich, »Josef K. hätte man diese Frage auch nicht beantwortet.«
    »Woran liegt es, dass ich in

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