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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Kuhnert
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Mir war kalt in dem verschneiten Wald geworden. Frierend machte ich mich auf den Heimweg, die Hände tief in meinen Manteltaschen vergraben. In den Häusern des Dorfes waren inzwischen die ersten Lichter zu sehen. Ich beschleunigte meine Schritte, um schnell ins Warme des Hauses zu kommen.
    Ich würde mir ein Glas Rotwein einschenken und den Fernsehapparat einschalten. Hier am östlichen Rand der Republik konnte ich nur die beiden Sender des eigenen Landes empfangen, und ich wusste, dass in diesen Programmen vermieden wurde, zu deutlich an den ursprünglichen Gedanken des Weihnachtsfestes zu erinnern, also bestand kaum Gefahr, sentimental zu werden. Und dann passierte es mir doch. Als ich in das vordere Zimmer trat, empfing mich angenehme Wärme. Auf dem kleinen runden Biedermeiertisch am Fenster, der bis vor wenigen Monaten noch zwischen Gerümpel aller Art auf Erwins Boden dahingedämmert hatte, stand ein Strauß Tannengrün mit ein paar Kugeln und Lametta geschmückt, davor auf einem Teller selbstgebackene Plätzchen, Stollen, Nüsse, Äpfel und ein Paar grob gestrickter Wollsocken. Diese unerwartete Bescherung löste in mir das aus, was ich um jeden Preis hatte vermeiden wollen: Ich ließ mich in den Korbsessel neben dem Tisch fallen und heulte hemmungslos, als wollte sich auf die Art die über Wochen und Monate angestaute Traurigkeit einen Weg bahnen. Die Tränen liefen über mein immer noch kaltes Gesicht und ich konnte erst aufhören, als ich mit einem Glas Rotwein in der Hand am Fenster stand und auf die schwach beleuchtete Dorfstraße blickte.
    Im Haus gegenüber sah ich in Rudis Wohnung die Lichter am Weihnachtsbaum brennen und fühlte mich hundeelend.
XXIII.
    G isbert hatte mir vorgeschlagen, den Jahreswechsel in seinem Haus zu feiern, auch wenn mir wahrscheinlich nicht zum Feiern zumute sei, hatte er hinzugefügt. Aber die bunte Gesellschaft würde mich vielleicht auf andere Gedanken bringen. Ich hatte dankbar angenommen, das Weihnachtsfest allein in meinen vier Fachwerkwänden mit zu vielem Rotwein und noch mehr Fressen aus Frust hatte mir gereicht. Gisbert und Hildegard hatten ein paar Leute eingeladen, die ich nicht kannte. Nur Kanzog, den Deutschlehrer des Ortes, hatte ich kurz auf Kollmanns Beerdigung gesehen, ihn aber nicht weiter beachtet. Kanzog schüttelte mir erfreut die Hand und stellte mir seine Frau, eine attraktive Mittvierzigerin, vor.
    »Endlich lerne ich mal den Dichter aus der Haupt stadt und dem Neben dorf kennen«, sagte er leicht belustigt.
    »Vielleicht kannst du mit ihm mal ein Interview machen«, wandte er sich einem dunkelhaarigen jungen Mann mit beginnendem Bauchansatz zu. »Das ist unser wichtiger Mann bei unserer leider nicht so wichtigen Zeitung«, sagte er zu mir.
    »Karsten Kienast, Lokalredakteur« stellte der sich vor. »Unser guter Hermann Kanzog muss ständig beweisen, dass er als Deutschlehrer mit unserer Sprache Pingpong spielen kann.«
    Gisbert war hinzugetreten, hatte Kienasts Kommentar gehört und fügte lachend hinzu: »Pass auf! Hermann macht dir am Ende noch Konkurrenz! Im Februar muss er sein Können unter Beweis stellen, als Büttenredner. Stell dir vor, sie haben in unserem kleinen Städtchen die alte Tradition des Karnevals wieder ausgegraben. Es soll auf ausdrücklichen Wunsch des Bürgermeisters drei tolle Tage geben, und damit sie auch wirklich toll werden, gibt´s eine Prinzengarde, eine schmissige Kapelle und drei Büttenreden. Den zweiten Kandidaten siehst du hier«, er deutete auf einen sportlich wirkenden Mann mit Halbglatze, der mir freundlich die Hand entgegenstreckte und sich als Klaus Schliemann vorstellte. »Wenn er keine Büttenreden hält, ist er der Ökonom des Volkseigenen Gutes, dem größten Betrieb der Region«, fuhr Gisbert fort. Und damit war der Kreis der Gäste vorgestellt. Hildegard kam mit einem Tablett ins Zimmer, auf dem bereits gefüllte Sektgläser standen. Als ich scherzhaft bemerkte, dass unsere kleine Feiergesellschaft aus der magischen Zahl sieben besteht, wollte Kanzog wissen, ob dies Glück oder Unglück bedeute.
    »Ich glaube, das sollte jeder für sich entscheiden«, sagte Hildegard mit einem bedeutungsvollen Blick zu mir gewandt.
    Der Abend war in lockerer Stimmung verlaufen und der Alkohol ließ den Lärmpegel langsam ansteigen. Die Gespräche drehten sich aber auch hier wie in der Kneipe von Hohenfeld nur um Probleme vor der Haustür. Die Welt- und Tagespolitik aus der Hauptstadt schien für die Leute nicht zu

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