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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Kuhnert
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entschied sich für Wodka. Also holte ich die Flasche mit dem klaren Schnaps aus dem Kühlschrank, goss ein Wasserglas halb voll und reichte es ihr.
    »Na sdrowje!«, sagte sie und trank das Glas mit einem Zug leer. Dann sah sie mich mit schon etwas getrübtem Blick an und begann: «Das kannst du doch nicht ernst meinen, mit dem, was du vorhast.«
    »Ich wüsste gern, wer dir erzählt hat, was ich vorhabe?«, unterbrach ich sie.
    »Als ob du das nicht ganz genau wüsstest«, fuhr sie fort. »Ist das nicht auch egal? Mensch, Elias! Du gehörst doch zu uns und nicht zu denen. Ich versteh´s nicht. Du kannst doch nicht einfach überlaufen? Ja, ich weiß, du bist nicht der Erste, aber warum gehen immer die Falschen? Warum werden wir nie klug? Und damit meine ich auch euch. Man kann nicht alles haben. Meinst du, ich hätte nicht Lust, manchmal den ganzen Dreck hinzuschmeißen? Und zu sagen, dass sie mich alle am Arsch lecken können! Aber ich hab zwei Kinder, da muss ich mich schon ein bisschen nach der Decke strecken. Du willst mit dem Kopf durch die Wand, das hat noch nie funktioniert. Du hast doch Erfolg gehabt, und bloß weil sie jetzt von dir erwarten, dass du mal ein bisschen zurücksteckst, willst du die Segel streichen? Es verlangt doch keiner von dir, dass du zum Transmissionsriemen der Partei wirst oder so ein Scheiß!«
    Das war ein Steckenpferd von ihr, das Zitieren der ideologischen Väter. » Aber Lenin hat ja auch gesagt: Zwei Schritte vor und einen zurück , damit könntest du´s wenigstens versuchen« Jetzt wartete ich nur noch auf ein passendes Marx-Zitat. Aber ihre Gedanken gingen in eine andere Richtung: »Irgendwann weißt du schon an der Schreibmaschine, was geht und was nicht. Wir schreiben doch alle mit dem kleinen Männchen auf der Schulter, und wenn ich sage alle, dann meine ich alle, ob für die eine oder die andere Seite. Da hat es überhaupt keinen Sinn, wegzugehen. Warum schreibst du nicht was für Kinder? Etwas, womit du nicht mit aneckst. Ich leg ein gutes Wort für dich ein beim Verlag. Ja, ja, ich weiß schon, das ist dir ´ne Nummer zu niedlich, du musst ja den Revoluzzer spielen. Und was hast du jetzt davon?«
    Sie seufzte tief und auf ihrem nun schon trotz aller Schminke vom Alkohol stark geröteten Gesicht spiegelte sich Ratlosigkeit. Dann hielt sie mir ihr Glas entgegen und ich füllte es wieder mit dem klaren Schnaps. So wie sie sprach, erwartete sie gar nicht, dass ich etwas erwiderte. Es war ein herunter gehasteter Monolog, den sie am nächsten Tag wahrscheinlich schon nicht mehr erinnern konnte. Sie seufzte noch einmal und fuhr dann in völlig verändertem Tonfall mit belegter Stimme fort: »Mit wem kann ich denn noch reden oder wenigstens einen saufen, wenn ihr alle weg seid, eines Tages?
    Irgendwann bleiben nur noch die Hüter der hehren Kunst in ihren Elfenbeintürmen übrig, die keine Sau versteht, und leider auch die Arschkriecher. Willst du es dir nicht noch mal überlegen? Im Westen warten die bestimmt nicht auf dich. Das haben schon andere vor dir gedacht.« Sie nippte an dem Schnaps, stellte das Glas ab und schnäuzte sich laut in ein großes Taschentuch, das sie anschließend in ihren Blusenausschnitt schob.
    »Du hast doch alles, ´n tolles Auto, ´ne kleine aber feine Wohnung hier, und dazu ein großes Haus auf dem Land, du hast Erfolg, Elias, konntest sogar schon in den Westen reisen. Willst du das alles wegwerfen?«
    Mit dieser Frage war sie mit ihrem Monolog am Ende gewesen, und ich hatte mich gefragt, wem das kleine Männchen auf ihrer Schulter wohl ähnlich sähe, damit ich wüsste, wen sie damit meinte. Aber da war kein Männchen mit einem eigenen Gesicht. Plötzlich wurde mir endgültig klar, dass wir uns nichts mehr zu sagen hatten.
XXII.
    U nter diesen neuen Bedingungen hatte ich das Weihnachtsfest mit zwiespältigen Empfindungen erlebt. Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend, die sich jedes Jahr pünktlich einstellten und eher von Verklärung geprägt waren, wurden nach den ersten Monaten des Wartens immer wieder von Depressionen überlagert. Ich war auf´s Dorf geflohen, um von rhetorischen Mitleidsbekundungen verschont zu bleiben, auch ernst gemeinte Einladungen unterschiedlicher Art von befreundeten Kollegen und Verwandten hatte ich ausgeschlagen.
Ich wusste, dass sie mich alle wie das personifizierte Elend behandeln würden, mit besten Absichten, aber diese Art Aufmerksamkeit konnte ich jetzt am wenigsten gebrauchen. Ich hatte durch die Postfrau

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