Abgebrezelt
Rechnung zu stellen. Das Taxi ist noch nicht da, und ich drücke mich in eine Ecke des Hausflurs, damit mich bloß keiner sieht. In dem Moment geht die Wohnungstür im Erdgeschoss auf, und Frau Raabe, der grauhaarige schwarze Sheriff, der für Recht und Ordnung und vor allem die Einhaltung des Treppenhaus-Putzplanes sorgt, erscheint im Türrahmen. Das Glück ist im Moment einfach nicht auf meiner Seite. In der einen Hand hält sie einen vollen Müllbeutel, in der anderen ein Kehrblech. Frau Raabe hat genau im Blick, ob der Hausflur von den einzelnen Parteien auch wirklich geputzt und vor allem, ob er auch richtig geputzt wird, also so, wie es sich ihrer Meinung nach für ein ordentliches deutsches Mietshaus gehört.
Ich habe Frau Raabe mal dabei erwischt, wie sie eine Zigarettenkippe in den Flur geschmissen hat, als ich mit Hausputz dran war, um zu testen, ob ich auch anständig putze. »Ich wusste gar nicht, dass Sie rauchen, Frau Raabe«, hab ich sie angesprochen. Die gute Frau wäre vor Schreck fast aus ihrer Else-Kling-Kittelschürze geschossen. Dann hat sie ganz schnell die Kippe eingesammelt und unverständlich vor sich hin geschimpft, » … Riesensauerei … keinen Anstand … « und so weiter. Auch jetzt zuckt sie jäh zusammen, als sie mich in meiner Ecke stehen sieht. Die Kehrschaufel landet mit einem großen Krach auf dem Steinfußboden.
»Was machen Sie da?«, fragt sie mit zittriger und aufgeregter Stimme.
»Ich warte auf ein Taxi«, antworte ich wahrheitsgemäß und achte darauf, dass mein Gesicht weiterhin im Schatten bleibt.
»Dann warten Sie gefälligst draußen! Wenn da jeder kommen würde.«
»Es wird ja wohl erlaubt sein, im Hausflur auf ein Taxi zu warten.«
»Warten sie doch in Ihrem eigenen Hausflur! Wenn hier jeder von der Straße kommen würde und Dreck reinträgt … Sie guckt dabei wie ein CSI -Ermittler, der gerade einen eigentlich unlösbaren Fall aufgeklärt hat.
»Aber Frau Raabe, ich bin’s doch, Jessica Kronbach.«
»Nee, nee, Sie sind nicht Frau Kronbach. Die Frau Kronbach sieht ganz anders aus, nicht so, so … « Sie beäugt mich kritisch. »Wahrscheinlich sind Sie das sogar, die hier immer in den Hausflur pinkelt«, lamentiert sie weiter. »Wenn ich Sie nur ein einziges Mal dabei erwische, dann –«
»Also gut! Ich sage Ihnen, wer ich bin. Ich bin von der Sitte und arbeite hier undercover! Uns ist zu Ohren gekommen, dass in der Erdgeschosswohnung illegal Schwulen-Pornos gedreht werden. Können Sie mir sagen, wer da wohnt?«
»Schwulen-was?«
»Na, Schwulen-Pornos! Sie wissen schon … brutaler Sex von hinten, oral, anal und so.«
»Also … das kann doch nicht sein … in der Erdgeschosswohnung wohne ich, und da gab es noch nie … «
Ich höre in diesem Moment, wie ein Auto vorfährt und vor dem Haus anhält. Das ist höchstwahrscheinlich mein Taxi.
»Wissen Sie was? Ich schicke eine Sonderkommission vorbei, die wird die Wohnung hier unten mal so richtig auseinandernehmen! Machen Sie sich keine Sorgen, wir kriegen die!«
Bevor Frau Raabe noch was sagen kann, betritt der Taxifahrer den Hausflur.
»Taxi für Frau Jessica Kronbach! Sind Sie das?«, fragt er mich.
»Nein, aber ich nehm es trotzdem!«
Dann verlasse ich zusammen mit dem Taxifahrer schnell den Hausflur. Ich spüre die entsetzten Blicke von Frau Raabe in meinem Rücken und befinde mich am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Nur mein eiserner Wille hält meinen Körper davon ab, einfach in sich zusammenzusacken. Stattdessen lasse ich mich auf den hinteren Sitz im Taxi fallen und sage dem Fahrer die Adresse.
Dr.Heintze guckt mich mitleidig an. Ich sitze vor seinem großen und wahrscheinlich sehr schweren Mahagonischreibtisch. Dr.Heintze ist geschätzte Mitte fünfzig, trägt eine eckige Brille, hat eine runde Halbglatze und ist angeblich eine Koryphäe in seinem Fachgebiet. Hinter ihm hängt ein großes Ölgemälde mit einem dunklen barocken Rahmen, auf dem eine Lichtung zu sehen ist, auf der Rehe und Hirsche friedlich grasen. Dieser hässliche Schinken soll wahrscheinlich beruhigend auf die Patienten wirken, mich macht er eher aggressiv. Dr.Heintze schüttelt den Kopf, nachdem ich ihm mein Leid geklagt habe und er einen Blick auf meine Verstümmelungen geworfen hat.
»Tja, Frau Kronbach, es tut mir leid, aber da kann man wirklich nicht viel machen. Hat Sie Ihr Arzt denn nicht über die Risiken einer solchen Behandlung aufgeklärt?«
Ich denke an den Zettel, den ich Roland aus der Hand gerissen und
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