ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)
ich Zucchini waschen, säubern und in Kartons einsortieren. Die Becks sind auf Anbau und Ernte von Spargel, Zucchini, Erdbeeren und Rhabarber spezialisiert, sie bewirtschaften insgesamt 110 Hektar Land, erfahre ich später. Doch jetzt versuche ich, mit den versierten Erntehelfern aus Polen und Rumänien mitzuhalten, deren argwöhnische Blicke mich begleiten. Zwischendurch kommt die Chefin zur Begrüßung vorbei und sagt, ich solle mit dem Lappen nicht so sehr an den Zucchini herumrubbeln. Mist, hoffentlich vergeige ich es nicht. Als gelernte Betonbauerin und Hobby-Weinleserin ist mir körperliche Arbeit zwar nicht fremd. Aber ich bin anfangs schon ein bisschen nervös und hoffe inständig, den Test zu bestehen.
Denn ich fühle mich wohl auf dem Hof der Becks – nicht nur wegen der außergewöhnlichen Wanddekorationen in der großen Halle, in der das Gemüse gereinigt und verpackt wird. Hier hängen Bilder vom Palmenstrand und Sonnenblumen. Und Sprüche. „Keine Machtstellung ist von Dauer“ wird der römische Dichter Ovid zitiert. Oder „Wahrer Erfolg lässt Raum für Familie und Menschlichkeit“ heißt es da und „Große Bäume geben Schatten für andere und stehen selbst in der Sonnenglut“. All dies trägt die Handschrift von Traudel Beck, einer erfrischend offenen, herzlichen Frau, die, wie ihr Mann Theo, für klare Ansagen steht. „Chef: 22.30 Nachtruhe. Licht aus!“, steht auf einer Schiefertafel im Flur zu den Unterkünften der Erntehelfer. „Ja, hier geht es zu wie beim Militär“, sagt Frau Beck. „Aber dazu stehe ich, anders geht es nicht“, wenn in der Hochsaison der Betrieb mit insgesamt bis zu 100 Erntehelfern reibungslos klappen soll.
Zur Mittagszeit gibt es im gemeinschaftlichen Speiseraum Nudelsuppe, dann Spätzle mit Fleisch und Soße. Alles ein kulinarisches Gedicht, gezaubert von Köchin Zenobia. Jeder kann essen, so viel er will. Die Becks meinen es mit ihrem Standpunkt ernst: „Wer gut arbeiten soll, muss auch gut versorgt werden.“ Als Chef und Chefin erwarten sie, dass die Spielregeln eingehalten werden. Der große Rest ist gelebte Herzlichkeit und Großzügigkeit.
Am Nachmittag geht es raus aufs Feld – in geborgten Gummistiefeln. In einer Reihe laufen wir dem tuckernden Traktor hinterher, schneiden Zucchini, legen das Gemüse in Körbe, die in die Erntemaschine eingesetzt werden. Die Riesenzucchini bleiben hängen, die nimmt der Handel nicht ab. Die stacheligen Ränder der Blätter, groß wie Rhabarberpflanzen, pieksen auf der Haut, das ungewohnte ständige Bücken bewirkt, dass ich mich bald wie eine 80-jährige, ach was, 90-jährige Greisin fühle. Abends, nach einer Dusche und leckerem Spargelsalat falle ich groggy ins Bett. Habe ich wirklich geschlafen? Um 5 Uhr klingelt am nächsten Morgen der Wecker, ich zähle zu den letzten beim Frühstück, dann geht’s wieder raus aufs Feld, den ganzen Tag. Ich schaffe das.
2007 ist das Jahr, in dem viele Erntehelfer ihr Heil in England suchen. Das reißt auch bei den Becks Lücken ins Personal, die nicht von heute auf morgen zu schließen sind. Etwa dreißig Polen, darunter viel Stammpersonal, sind diesmal nicht im Einsatz. Theo Beck muss die Reihen auffüllen, drei noch nicht eingearbeitete Rumänen kommen auf zwei erfahrene Polen. Gut, „in England herrscht nicht so viel Bürokratie, die kommen und gehen, wann sie wollen.“ Aber Theo Beck sieht viel mehr Nachteile: „In England werden keine Sozialversicherungsabgaben gezahlt. Da gibt es zwar bis zu acht Euro pro Stunde, aber ein Helfer wird womöglich nur für zwei Stunden eingesetzt.“ Und: Die Kosten für Essen und Unterbringung seien sehr hoch, „ich habe gehört, dass die auch auf Pappe unter Bäumen schlafen“, fügt er hinzu.
Zenobia und ihre Erntehelfer-Kollegen wissen die Bedingungen auf dem Martinshof zu schätzen. Seit sechs Jahren arbeitet die Frau von Anfang vierzig für je zwei Monate bei den Becks. In Polen, wo sie mit ihrem Mann und drei erwachsenen Kindern nahe der russischen Grenze lebt, arbeitet sie in einer Bäckerei. Zenobia ist Küchenfee, Verwalterin und Hauswirtschafterin in einer Person. Sie kocht wahnsinnig schnell und gut – für Gulasch mit Nudeln für 20 hungrige Mäuler braucht sie nur eine Stunde – sie schreibt die Arbeitsstunden aller Erntehelfer auf, wäscht, füllt die Regale im Hofladen auf… Ist das nicht Stress ohne Ende? „E bissel“, wiegelt sie ab. Aber sie will daraus keine große Sache machen. Ein Wechsel nach England
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