ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)
eine Übernachtung bieten. Zurück in Sasbach, gibt Frau Birkle keine Ruhe. Sie ruft auf dem Weingut Helde im benachbarten Jechtingen an – und dort kann man mich in der Sauerkirschen- und Zwetschgenernte gut gebrauchen.
Wieder mal fühle ich mich wie im Himmel auf Erden: Ich weiß, dass ich an diesem Abend in einem schönen großen Zimmer mit Dach über dem Kopf schlafe, dass ich mich unter die Dusche stellen und am nächsten Morgen frühstücken kann. Und, die Krönung, dass ein Job auf mich wartet. Dank Ria Birkle. Für sie ist das keine große Sache, „man ist doch Mensch“.
Kapitel 10
Ja, Chef! Wird gemacht, Chef!
Schon der Freitagmorgen lässt ahnen, dass ich mich in Baden, der sonnenreichsten Region Deutschlands, aufhalte. Nach dem Frühstück bei Ria Birkle und ihrem Mann zieht’s mich nach Jechtingen. Gertrud und Hermann Helde, die Eltern des Junior-Winzers Norbert Helde, begrüßen mich und zeigen mir alles, was wichtig für mich ist: Schlafplatz und sanitäre Einrichtungen. Während ich zunächst wegen Platzmangels schlicht auf einer Matratze in einem Lagerraum nächtige, darf ich in den weiteren zwei Nächten im schönen Pensionszimmer mein Haupt zur Ruhe legen. Und dann taucht da plötzlich ein Mann auf, der schimpft und nölt, weil ihm irgendetwas mit der Zwetschgenernte nicht in den Kram passt. Das ist der Junior-Chef, Norbert Helde. Seines Zeichens langjähriger Winzer und Weinbautechniker. Der 41-Jährige stellte 1990 das Wein- und Sektgut der Familie auf ökologischen Anbau und Erzeugung um. Das schmeckt man bei jedem Schluck, bei jedem Bissen, den man bei den Heldes zu sich nimmt.
Aber zunächst mal an die Arbeit: Die Sauerkirschen wachsen an kleinen kompakten Bäumen, das Pflücken der Früchte ohne Stiel fluppt. „Die Roten nicht“, weist mich Hermann Helde in der Plantage ein. Meinen verständnislosen Blick vertreibt er mit der Erklärung, dass die hell- bis knallroten Früchte noch hängen bleiben sollen, die dunklen sind die reifen. Und ich erfahre ganz nebenbei, was wurzelechte Kirschen sind. Hier kommt der Ast in die Erde, der dann Wurzeln schlägt. Alle anderen Bäume sind veredelt. Die traumhafte Kulisse, in der ich ernte, verleitet zum Trödeln. Links von uns im Hintergrund ragt der Schwarzwald auf, rechts erstrecken sich die Vogesen – und in der Mitte stehen wir.
Bei den Frühzwetschgen – die Sorten heißen „Hermann“, wie der Senior-Winzer, oder „Gerstetter“ und „Cacak“ – sieht die Sache für mich Laien-Obstpflücker schon anders aus. Die Bäume sind groß, der Blätterwald üppig, und ich bin unsicher, welche Früchtchen reif sind und welche nicht. Aber wieder bekomme ich Unterstützung – auch von den stets gut gelaunten, hilfsbereiten rumänischen Erntehelfern, die immer für einen Spaß zu haben sind. Mangelnde Sprachkenntnisse bereiten keine Verständigungsprobleme.
Die Arbeit im Freien macht Spaß, man sieht schnell, was man geschafft hat, und bekommt nebenbei noch ein Sonnenbad ab. Und zwischendurch düst immer wieder Norbert Helde durch die Plantage. Dem charmanten Poltergeist geht’s nicht schnell genug, oder es landen zu viele unreife Pflaumen in den Körben. Manchmal müsse er im Ton scharf werden. „Oh ja, ich kann schon mal laut werden.“ Dazu steht der Öko-Winzer. „Das muss auch mal sein bei so vielen Leuten.“ An einem Tag wie diesem kosten ihn die Erntehelfer schließlich sehr viel Geld. „Würde da etwas mit der Ernte nicht stimmen, hätte ich ein Problem.“ Würde der Abnehmer, mit dem er eine Obstlieferung vereinbart hat, die Ware mangels Qualität nicht annehmen, bliebe der Winzer auf sämtlichen Ausgaben sitzen. Obendrein würde ihm der unzufriedene Kunde auch noch die Speditionskosten in Rechnung stellen. Bei so viel Verantwortung, die auf seinen Schultern lastet, darf’s also auch schon mal lauter werden. Und dann schmunzelt Norbert Helde auch schon wieder, als ich seine Anweisungen mit „Ja, Chef!“, „Wird gemacht, Chef!“ kommentiere. Der temperamentvolle Winzer geht zum Lachen ganz bestimmt nicht in den (Wein-)Keller…
Abends, ich darf bei den Heldes in der Küche mit am Tisch essen, komme ich in den Genuss von Mutter Gertruds Brot. Sie backt es selbst im eigenen Holzofen, 20 Laibe aus Weizenmehl reichen sechs Wochen, erzählt sie. Ansonsten bleibt die Gewürzmischung ihr Geheimnis. Dieses Brot ist eine Wucht, es schmeckt intensiv nach Getreide, man denkt an endlose Ährenfelder, Klatschmohn und Kornblumen am
Weitere Kostenlose Bücher