ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)
„Beleidigungen gegenüber Fährpersonal: sofort Anzeige.“ Scheint ja durch aufgewühltes Fahrwasser zu führen, diese Fährverbindung.
Ich komme jedenfalls wohlbehalten in Neuburgweier an, obwohl es immer noch wie aus Kannen schüttet und recht kühl geworden ist. Zeit für eine Unterkunft. Ich reserviere telefonisch eine Übernachtung in einer Pension in Plittersdorf, das rund 15 Kilometer entfernt liegt. Dort angekommen, bin ich reif für eine heiße Dusche, trockene Klamotten und ein Bett. Ich spüre die 87 Kilometer Tagesetappe in den Knochen, bei schönem Wetter stecke ich so eine Strecke besser weg. Familie Reiß gewährt mir einen Übernachtungsrabatt, der Hausherr bringt mir noch Kaffeepulver und Lebensmittel, die frühere Pensionsgäste dagelassen haben. Am nächsten Morgen, nach einem Blick auf Regen und Sturm, schiebe ich spontan einen Ruhetag ein. Ich fühle mich nicht fit. Am Vormittag fahre ich ins nahe gelegene Rastatt, treibe ein Internetcafé auf, in dem ich an die Lieben zuhause schreibe, die regelmäßig lesen wollen, dass es mich noch gibt, genehmige mir für ganz kleines Geld ein Mittagessen und fahre auch schon zurück in die Pension. Hier verschlafe ich den Nachmittag, den Abend und die Nacht.
Am nächsten Morgen fühle ich mich, wie mein Rad heißt: Hercules. Auf geht’s im Regen, der sich aber bald verzieht. Der Ort Freistett bleibt mir in Erinnerung, bunte Fachwerkhäuser und üppig blühende Bauerngärten verbreiten elsässisches Ambiente.
Kaffeepause am Nachmittag in Kehl am Rhein, am anderen Ufer liegt Strasbourg. Es ist noch nicht spät, ich könnte noch gut zwei Stunden radeln, beschließe aber zu bleiben. In der Touristen-Info entpuppt sich eine Mitarbeiterin als Schatz. Sie telefoniert alle Pensionen nach einem preiswerten Zimmer ab. Nichts zu machen, durch eine große Sportveranstaltung ist alles belegt. „Melden Sie sich doch mal im Hotel Rosengarten bei Dimitri“, fällt ihr dann ein – und schon hat sie den Hörer in der Hand. Der Hotelier bietet ein Einzelzimmer für 35 Euro. „Zu teuer“, sage ich ihm, als ich im Hotel vor ihm stehe. Ich erkläre ihm kurz, wie ich reise. Das findet er gut und fragt mich, wie viel ich zahlen würde. 15 Euro. „Ach nein“, das ist ihm zu wenig. Was soll ich machen? In der Küche arbeiten? „Nein, bügeln.“ Das Angebot von Dimitri Panagiotidis lautet schließlich: 20 Euro fürs Zimmer, ein Essen, und ich bügle die Hotelwäsche. Okay, wir besiegeln das Geschäft per Handschlag. Da ist es 16.30 Uhr, erst zwei Stunden später soll ich mich wieder bei ihm sehen lassen. Zeit zum Duschen und Umziehen auf dem Zimmer.
Später sitze ich dann im Keller an der Mangel und am Bügeleisen und glätte Tischtücher, Bettwäsche, Handtücher, Hemden. Gerade Bügeln ist so eine Hausarbeit, vor der ich mich drücke, wann immer es geht, denke ich noch so, und muss grinsen. Zwischendurch schaut eine freundliche Hotel-Mitarbeiterin nach, ob mich mein Job in die Mangel nimmt oder umgekehrt. Später, schon nach zwei Stunden, entlässt mich Dimitri aus dem Bügelkeller, und die Köchin serviert mir einen Berg feinstes Gyros mit Salat. Dazu gibt’s Pils vom Fass und Sirtaki mit Alexis Sorbas aus der Musikanlage.
Wieder um tolle Begegnungen reicher, darf ich mich am nächsten Morgen noch beim Frühstück stärken. Und weiter geht’s – erst mal zu einer A.T.U-Werkstatt in der Nähe. Mein Fahrrad quietscht nach 750 Kilometern erstmals nach Öl. Die Bitte nach diesem Service läuft wie geschmiert. Dann beginnt die bisher schwierigste Etappe. Ab Kehl ist der Radweg teilweise schlecht ausgeschildert, später kämpfe ich auf dem Rheindamm Richtung Ichenheim, Meißenheim, Schwanau mit extremem Gegenwind. Ich trete wie ein Stier in die Pedale und habe das Gefühl, dennoch nicht voran zu kommen. Das kostet Kraft. Aber ich schaffe 80 Kilometer.
In Sasbach am Kaiserstuhl ist Schluss für diesen Tag. An der Hauswand der Pension, in der ich für 26 Euro übernachte, steht in altdeutscher Schrift: „Ein froher Gast ist niemals Last.“ Und das meint Pensionswirtin Ria Birkle ernst. Die Frau wird sofort aktiv, als ich ihr erzähle, dass ich mit wenig Geld unterwegs bin und meine Reisekasse möglichst weiter aufbessern muss. Sie nennt mir sofort die Adressen von zwei Bauernhöfen und einer Gärtnerei in der Nähe, wo ich es versuchen soll. Ich radle gleich los, aber der eine empfohlene Landwirt hat leider keine Arbeit, der andere könnte mir erst zwei Tage später
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