ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)
freundlicherweise hält. Ob ich trotz Ausbau die Straße benutzen könne, will ich wissen. Sie wüsste das nicht, auch nicht, wie ich sonst fahren könnte. Verstehe ich nicht, durch ihre Arbeit müsste sie sich doch in der Gegend auskennen; später ärgere ich mich über mich selbst. Sorry, liebe Postfrau!
Ich wage den Weg auf der Bundesstraße mit Baustelle, es funktioniert. Ich bin erleichtert. Den Frust strample ich schnell weg. Angekommen in Nördlingen, will ich die Stadt eigentlich schnell passieren, aber ich komme nicht daran vorbei. „Die schönsten Ecken sind rund“, wirbt die kreisrund angelegte Stadt. Fachwerkhäuser, Kopfsteinpflaster und lauschige Gassen verströmen Mittelalter-Flair. Und das Schönste: An diesem Samstag, Mitte Juli, ist Töpfermarkt. Er gilt als einer der größten und schönsten Märkte in Schwaben. Und das ist keine Übertreibung, wie ein Bummel entlang der mit schönsten Keramiken überbordenden Stände zeigt. Ich bin ganz verzückt, gerate in Kaufrauschlaune, die ich aber ganz schnell niederzwinge. Jetzt bloß keine kostbaren Euros ausgeben, und wohin mit den irdenen Schüsseln und Tassen auf dem Rad? Nördlingen kommt auf die Liste der Reiseziele, die ich irgendwann nochmals aufsuchen will. Mit diesem Vorsatz gelingt es mir, die Stadt ohne finanzielle Verluste zu verlassen.
Der Tag nimmt seinen Lauf, ich habe noch keinen blassen Schimmer, wo ich übernachten werde. Ich weiß nur, dass ich am liebsten wieder draußen schlafen würde. In dem Ort Maihingen wähle ich die kürzere und nur kurz steile Strecke nach Hochaltingen. Hier frage ich eine Frau nach einer Bademöglichkeit in der Umgebung. Im nächsten Ort Fremdingen erweist sich ein Weiher, weit abseits von der Straße am Ortsausgang gelegen, wie für mich gemacht. Ich bade, ziehe frische Sachen an und lege mich diesmal ufernah mitten ins duftende Gras. Ein paar Jugendliche kommen vorbei, die auch baden wollen. Sie erzählen von „Zeit für Helden“, einer Aktion, bei der junge Leute innerhalb einer gewissen Zeit fürs Gemeinwohl aktiv werden. Sie selbst richten einen Grillplatz her.
Wieder verlässt mich der Sommer nicht. Am nächsten Morgen kitzelt mich die Sonne wach, die kleinen Schnecken, die sich – wie schon am Rhein – angeschleimt haben, sammle ich gleichmütig von Isomatte und Schlafsack. Ich hab’ mich daran gewöhnt.
Kapitel 17
Weihnachten im Hochsommer
An diesem Tag will ich Rothenburg ob der Tauber erreichen, die Stadt, in der immer Weihnachten zu sein scheint. Nach 73 Kilometern und fünfeinhalb Stunden wird mir dies gelungen sein. Doch nach dem Abschied am Morgen vom schönen Weiher komme ich die ersten zehn Kilometer schlecht weg. Die Ausschilderung am Ortsausgang von Fremdingen gibt Rätsel auf, und ich entscheide mich leider für die falsche Variante. Irgendwann stehe ich mitten im Wald vor einem Bauernhof. Es ist erst kurz nach neun Uhr am Sonntagmorgen, ich klopfe einen jungen Mann aus dem Bett, der mir freundlich den richtigen Weg weist. Zunächst geht’s weiter mühsam voran auf Schotter und Sand, später wird’s besser.
Ankunft in Dinkelsbühl – auch so eine Bilderbuchstadt. Ich bin jetzt mitten im Frankenland, das sich ja ganz und gar nicht als bayerisch versteht. Im urig-gemütlichen „Kaffeehaus“ mache ich Pause, gönne mir neben einem Koffeinschub ein Stück leckeren Quarkkuchen. Er schmeckt köstlich – wie alles, was ich auf dieser Fahrt wegen kleinem Budget nicht regelmäßig in mich hineinstopfen kann. Im Kaffeehaus darf ich auch den Akku meines Handys aufladen. Überhaupt begegnen mir viele gutgelaunte Menschen beim Drahteselschieben durch Dinkelsbühl. Sie lächeln mir zu, winken, hupen.
Später, wieder auf dem Land, fülle ich bei einem Bauern meine Wasserflasche nach und dusche mich dabei in der sengenden Sonne. Die letzten Kilometer bis Rothenburg
sind anstrengend, obwohl es bergab geht – bei 13 Prozent Gefälle –, denn es ist 35 Grad heiß, und der aufgeweichte Asphalt schmatzt unter den Reifen. In der Nähe von Dombühl begegnen mir nach langer Zeit mal wieder Menschen, die nicht Bayerisch oder Fränkisch reden: zwei Frauen aus Dresden. Bevor mir Rothenburg zu Füßen liegt, muss ich noch eine Steigung bewältigen. Ich bin kaputt. Plötzlich hält einige Meter vor mir ein Pkw. Darin sitzt die mir noch unbekannte Pensionswirtin Ruth Götz, die mich bepackte Radlerin als ihren Feriengast erkennt. Ich habe bei ihr eine Übernachtung für 23 Euro mit Frühstück
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