ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)
gebucht. Frau Götz tuckert im Auto voran zu ihrer Pension.
Ich dusche, nutze die Gelegenheit zur T-Shirt- und Slip-Wäsche per Hand, steige in Rock und Sonnentop – und schon geht’s mir besser. Heute gönne ich mir ein richtiges Abendessen. Ich laufe ins Stadtzentrum, entscheide mich für den „Bürgerkeller“ in der Herrengasse, vor dem Tische und Stühle auf der Straße stehen. Der Touristenrummel spielt sich weiter weg ab, wo ich sitze, kann ich die Seele baumeln lassen, genießen und schmunzeln. Die Geschäfte, deren Eingänge mit Buchsbaumgirlanden und Lichterketten geschmückt sind, die Namen wie „Christkindlmarkt“ tragen und Weihnachtsdekoration in Hülle und Fülle anbieten, wirken bei abendlichen 30 Grad reichlich unwirklich. Man wähnt sich im falschen Film.
Derweil labe ich mich an leckerem Altfränkisch Dunkel vom Fass und einem Rückensteak. Als ich den aufmerksamen Kellner zuvor frage, ob der Salat mit Mais, den ich nicht mag, angerichtet sei, antwortet er: „Kein Mais und keine Mäuse.“ Aha. Er serviert gleich noch eine Erklärung: Es hieße ja, dass sich über Geschmack nicht streiten ließe. Aber im Fränkischen heißt es: „Die Katz’ mog Mais, i net!“
Nach dem guten Essen und einem Spaziergang durch die Altstadt schlendere ich zurück zur Pension, wo ich traumhaft schlafe. Bevor ich am nächsten Morgen Rothenburg verlasse, setze ich in einem Internetcafé noch ein Lebenszeichen an meine lieben Daheimgebliebenen ab. Und dann heißt es: Auf zu neuen Abenteuern!
In Bieberehren verlasse ich die Romantische Straße, die bis Würzburg führt. Ich wechsle auf den wunderschönen Gaubahn-Radweg entlang einer alten Bahnlinie. Auf dieser Trasse fuhren von 1907 bis 1992 Dampflokomotiven, seit 1996 können sich hier Radler abstrampeln. Vor mir radeln zwei Männer, sie sind mein „Navi“, gleichwohl man auf dieser Strecke wirklich nicht vom Weg abkommen kann. Nur an einer Stelle ist es ein wenig unübersichtlich. Ich komme mit den beiden ins Gespräch, erzähle, dass ich auf dem Rückweg bin. Wie der Zufall es will, stammt einer der Männer vom Bodensee. Nach meiner Bodensee-Premiere steht das Fleckchen Erde auf meiner „Da-will-ich-unbedingt-noch-mal-hin-Reiseliste“ ganz oben. Der Mann empfiehlt mir einen kleinen Ort am Untersee.
Nach gut 25 Kilometern ist der Bahnradweg in Ochsenfurt zu Ende. In der Touristen-Info des Ortes weist mir ein freundlicher Herr die Richtung zum Main-Radweg. Auf ihm will ich weiter in Richtung Thüringen vorankommen. Ich mag die Radwege entlang von Flussufern nun mal am liebsten. Die Strecke mainaufwärts führt durch eine saftiggrüne Landschaft, ich fühle mich pudelwohl – und wieder reif für eine Übernachtung im Freien. In Kitzingen/Albertshofen findet sich wieder einen Platz wie für mich gemacht an einem See. Ich kann herrlich abtauchen und mich ausruhen. Als ich sauber und satt im Gras sitze, erreicht mich eine SMS vom lieben Kollegen Nikolaos Georgakis daheim. Es ist der 16. Juli 2007, mit seiner Liebsten macht er sich gerade auf den Weg zum Keith-Jarrett-Konzert in der Philharmonie Essen, wohin ich eigentlich mit wollte. Aber dann bekamen meine Reisepläne die Oberhand, und ich verkaufte meine Karte. Und überhaupt: Keith Jarrett?! Der geniale Musiker ist in diesem Moment ganz weit weg – wo ich am Seeufer sitze, einem Grillen-, Vogel- und Froschkonzert lausche und langsam die Dämmerung heraufzieht. Einziger Wermutstropfen an diesem Abend: Bei Kilometer 1842 bricht der Radständer ab. Bis zur Ankunft in der Heimat muss und wird es ohne gehen.
Am nächsten Morgen schwinge ich mich voller Elan aufs Rad, mit 117 Kilometern werde ich abends einen Etappenrekord verbuchen, den ich auf der Tour nur noch ein Mal überbieten werde. Fahren, fahren, fahren, das ist zurzeit das Wesentliche. Allein in den vergangenen fünf Tagen habe ich gut 430 Kilometer geschafft. Nicht schlecht, dafür, dass ich radle und nicht rase. Die Radfahrer, die fast auf dem Lenker liegen und meist mit verbissenem Gesicht pfeilschnell durch die Gegend düsen, sind mir ein Gräuel. Ich trete geruhsam, aber beständig in die Pedale, sauge den Sommer auf, kann mich am Getreide, das jetzt überall auf den Feldern gemäht wird, nicht satt riechen. Ich rede wenig, mein altes Leben ist weit weg. Nur ich und mein Hercules, die Besinnung allein darauf tut gut und entspannt. Ich verschwende keinen Gedanken an das, was war, oder das, was sein könnte. Nur das Jetzt zählt. Diese Tour lehrt
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