ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)
mich, dass es gut ist, einfach mal alles laufen zu lassen. Dabei passieren die dollsten Sachen.
In Rannungen mache ich Pause, zische in einem Getränkemarkt mit Ausschank ein eiskaltes Radler. In diesem Moment meine ich, nie zuvor so etwas Köstliches getrunken zu haben. Gut 20 Kilometer vor Steinfurt begegne ich zwei Frauen. Wir kommen ins Plaudern. Neben der Straße blüht ein Sonnenblumenfeld, wie es Vincent van Gogh nicht besser hinbekommen hätte. Das schreit nach einem Erinnerungsfoto, was das reisende Duo auch gerne von mir schießt.
In Schweinfurt wechsle ich auf den Main-Saale/Main-Werra-Radweg, wo alles bestens ausgeschildert ist und prima funktioniert. Bad Neustadt soll dann am späten Nachmittag letzte Station auf der Suche nach einer Übernachtung sein. Ich will mich wieder im Freien in den Schlafsack kuscheln, aber auf der hilfreichen Radwegekarte für den Thüringer Wald und die Rhön ist weit und breit keine blaue Wasserfläche eingezeichnet. Und ich bin verschwitzt und verdreckt. Kurzentschlossen investiere ich 3,50 Euro für den Eintritt ins Schwimmbad, wo die Frau am Einlass mir erlaubt, mein Rad im Foyer abzustellen. Ich ziehe auf der Toilette meinen Badeanzug an, und ab geht’s unter die Dusche und ins Bassin. Eine Wohltat nach dem langen Tag. Sauber und in frischen Sachen schwinge ich mich später wieder aufs Rad, kaufe bei Aldi ein und juckle aus der Stadt. Ich weiß immer noch nicht, wo ich zur Ruhe kommen werde. Dann – endlich! – werde ich bei, ich glaube, Oberstreu, fündig. Hier ist ein Spielplatz auf einer Wiese, dank Bäumen, Hecken und Büschen für neugierige Blicke nicht einsehbar. Und der Clou: Auf dem Gelände steht eine nach vorne offene Holzhütte. Hier fühle ich mich sicher. Meine Beine sind schwer, ich bin müde und reif für die Isomatte, die ich zunächst im Freien auf einem Rasenstück ausbreite und auf der ich bald in tiefen Schlaf versinke. Bis nachts um 3 Uhr, da wecken mich die ersten dicken Regentropfen, die Vorboten eines Sommergewitters. Ich raffe flugs meine Siebensachen zusammen und wechsle in die Hütte. Was bin ich froh, dass sie hier steht!
Kapitel 18
Im Schneckentempo zum Rennsteig
Der nächste größere Ort auf meiner Tour ist Mellrichstadt. Als ich morgens dort ankomme, habe ich noch nicht gefrühstückt. Zuhause lasse ich das Frühstück meist ausfallen, aber auf der Tour spendet es einfach schnell Kraft. Ich komme also an, die ein, zwei Cafés, die ich sehe, wirken nicht einladend. In einer Bäckerei kaufe ich schließlich ein Teilchen, ein Salzhorn und einen Kaffee zum Mitnehmen. Ich halte den mit kochendheißem Kaffee randvoll gefüllten Becher in der linken Hand, jongliere das Rad mit der rechten über die Straße. Das geht schief, denke ich noch, und schon klatscht der Becher aufs Pflaster. Mist. Ich bin genervt, tue so, als ob nichts passiert wäre, gehe einfach weiter, und ignoriere die Rufe einer älteren Frau, die mich bestimmt auffordern will, meinen Müll wegzuräumen. Das ist das einzige Mal, dass ich dies nicht mache. Ich stelle mich taub und blind. Tschüss Mellrichstadt, tut mir leid, das war nicht mein Pflaster.
Schließlich mache ich am Ortsausgang Pause, vor einem Supermarkt, an dessen Brotstand es auch Kaffee gibt. Hinter Mellrichstadt passiere ich eine Brücke über die A 71. Noch etwas über 100 Kilometer bis Erfurt, sinniere ich, in etwas über einer Stunde wäre ich mit dem Auto dort. Ach quatsch, kann ja jeder, fege ich diesen Gedanken zur Seite. Ich bevorzuge meine Variante: 125 Kilometer in 9,5 Stunden reiner Fahrzeit, verteilt auf zwei Tage.
Nun steuere ich auf meine ganz persönliche Grenzüberschreitung zu – von Bayern nach Thüringen. Ich bin gebürtige Thüringerin. Für mich war von Anfang an klar, dass die Radtour durch meine alte Heimat führen muss. Ich passiere Mühlfeld, den letzten Ort im ehemaligen Westen. Vor dem Berg im dahinter liegenden Schwickershausen war die Zonengrenze. Ruck zuck bin ich „drüben“. In Schwickershausen weist plötzlich kein Schild mehr den weiteren Weg. Ich frage eine Frau, die am Straßenrand steht, um Rat. Sie lädt mich spontan ein zum Kaffeetrinken in ihr Haus, das nur ein paar Meter entfernt steht. Marita Fickel heißt die gastfreundliche Frau, von Beruf Versicherungsmaklerin. Sie zeigt mir das Familienanwesen, das Grab von Kater Max im Garten und macht mich bekannt mit der höchst lebendigen Katze Maya, deren Miauen eher wie ein tierisch schönes Gurren klingt. Frau Fickel
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