Abgeferkelt: Roman (German Edition)
sie eine durch und durch pragmatische Entscheidung und stellte sich dazu.
*
»Sie hat recht«, sagte Jonas, sobald er mit Manolo allein war. »Was der Schützenverband uns da anträgt, bringt uns an die Grenzen der journalistischen Glaubwürdigkeit.«
»Na und? Als der alte Verleger noch lebte, war das der Normalfall.«
»Mag sein, aber ich habe mein Amt hier angetreten, um das zu ändern.«
»Sehr weit bist du damit bisher nicht gekommen, wenn ich das mal so sagen darf«, gab Manolo zurück. »Abgesehen davon glaube ich nicht, dass der neue Verlagseigentümer begeistert davon sein wird, wenn wir die ohnehin schon rückläufigen Anzeigeneinnahmen weiter reduzieren.«
»Ist das alles, was du an Berufsehre aufbringen kannst?«, fragte Jonas. »Wo bleibt dein Idealismus?«
»Wir können nicht alle Watergate aufdecken – ein paar von uns müssen schlicht und ergreifend ihre Rechnungen bezahlen.«
»Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass wir gezwungen sind, uns kaufen zu lassen.«
Manolo zog die Stirn in Falten. »Sag mal – willst du Kati beeindrucken, oder was soll dieses Gequatsche plötzlich?«
»Kati? Was hat die denn jetzt damit zu tun?«
»So, wie ich dich vorhin verstanden habe, ist sie zum moralischen Gewissen dieser Redaktion aufgestiegen.«
»Und?«
»Und ich glaube, dass sie dich mittlerweile schon so sehr um den Finger gewickelt hat, dass du kaum noch einen klaren Gedanken fassen kannst!«
»Das ist Schwachsinn, und das weißt du ganz genau!«
»Weiß ich das? Ich hab euch doch erst gestern beim Füßeln auf dem Flur erwischt!«
*
Auf der anderen Seite der Tür tauschten Katis Lauschkumpane einen Blick. »Interessantes Detail«, murmelte Heinz.
»Da scheine ich echt was verpasst zu haben«, flüsterte Guido.
Kati ging sofort in die Defensive. »Das stimmt überhaupt nicht! Larsen hat mich lediglich nach meinem Nagellack gefragt, das war alles.«
»Nagellack«, brummte Guido. »Schon klar.«
»Braucht man als Chefredakteur ja auch immer wieder«, ergänzte Heinz.
»Mit euch rede ich kein Wort mehr«, sagte Kati eingeschnappt.
»Ist auch besser so. Wir kriegen sonst ja gar nichts mit.« Heinz machte eine Verschwörermiene wie aus dem Bilderbuch und legte sich den Zeigefinger an die Lippen.
*
»Du stellst also meine Unabhängigkeit als Leiter dieser Redaktion in Frage?« Jonas wurde allmählich sauer.
»Nicht, solange du die Sache mit dem schwulen Schützenkönig auf sich beruhen lässt.«
»Dazu hätten wir den Termin am Freitag gar nicht erst besetzen dürfen.«
»Das war ein Fehler, okay. Aber trotzdem ist es nicht zu spät, Kati zurückzupfeifen und mit dem Schützenverband ein bisschen Appeasement-Politik zu betreiben.«
Jonas lief ein paar Schritte durch den Raum. »Ich verstehe deine Bedenken.«
»Ach ja? Und wieso höre ich da dieses ›aber‹ in deinem Unterton mitschwingen?«
»Weil du nicht der Einzige bist, auf den ich Rücksicht nehmen muss. Ich habe schließlich noch andere Mitarbeiter im Team.«
Manolo warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Gott, wie ich es hasse, wenn du dich hinter deinem Chefredakteursposten versteckst, statt Klartext zu reden. Du machst es dir verdammt einfach, weißt du das?«
Einfach? Beinahe hätte Jonas laut aufgelacht. Er ließ sich vieles vorwerfen, dass er zu hohe Erwartungen hatte, manchmal falsche Entscheidungen traf und oft zu ungeduldig war – aber niemals, nicht an einem einzigen Tag, der seit seinem Amtsantritt verstrichen war, hatte er es sich einfach gemacht. Zu tief saß seine Verachtung für all die Vorgesetzten, denen er in seiner Zeit als Redakteur und später als Ressortleiter zuarbeiten musste: Er hatte Provinzfürsten erlebt, die ihre Führungsposition missbrauchten, um eigene Interessen zu verfolgen. Choleriker, die ihren Frust lautstark an ihren Mitarbeitern ausließen. Und Angstbeißer, die hoffnungslos überfordert waren. Es gab so vieles, das Jonas hatte besser machen wollen, und doch war er schnell an Grenzen gestoßen – an seine eigenen und an die seiner Kollegen.
Manchmal kostete es ihn Mühe, darüber nicht zu verzweifeln, insbesondere jetzt, da die Zukunft des Verlags im Dunkeln lag. Und es kostete so verdammt viel Kraft, nach außen hin Ruhe zu bewahren, obwohl er sich innerlich unter Druck fühlte wie ein Schnellkochtopf: Die Möglichkeit, sich seine Sorgen von der Seele zu reden, hatte er nicht: weder zu Hause, wo niemand auf ihn wartete, noch bei seinem besten Freund, der als sein
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