Abgeferkelt: Roman (German Edition)
erreichen?«
»Indem sie beim Vogelschießen mitmachen und sich den Titel des Stadtkönigs holen.«
»Wer geht an den Start?«
»Der amtierende schwule Schützenkönig Manni Kowalski mit seinen Rittern.«
»Wann und wo?«
»Anfang September hier in Grümmstein.«
»Sehr gut.« Heinz lächelte. »Und dein Einstieg lautet jetzt wie?«
»Die Scharfen Schützen Grümmstein e.V. wollen beim kommenden Stadtschützenfest im September mitwirken«, formulierte Kati laut. »Der schon vor anderthalb Jahren von homosexuellen Mitbürgern gegründete Verein drängt damit auf die Aufnahme in den Stadtschützenverband. Als Botschafter der Toleranz will sich der amtierende Schützenkönig Manni Kowalski dem Wettbewerb um den Titel des Stadtkönigs stellen.«
»Na bitte. Mach in dem Tempo weiter, und du schaffst es bis Mitternacht.«
»Aber so will ich die Geschichte eigentlich gar nicht erzählen.«
»Wie – so?«
»Na, so nüchtern eben. Ich weiß schon, Jonas hat gesagt, ich soll sachlich bleiben und nicht so viel schwafeln. Andererseits interessiert es unsere Leser vielleicht auch, wer Manni Kowalski als Mensch ist und was für Hoffnungen er mit dem Amt als Stadtkönig verbindet.«
»Klar ist das interessant. Und lässt sich problemlos mit zwei Sätzen abhandeln.«
»Aber was ist mit Georgette Baguette? Die hat eine total bewegende Lebensgeschichte …«
»Georgette wer?«
»Die Drag-Queen natürlich. Jetzt sag nicht, du hast noch nie von der gehört?«
»Nee, aber was ich höre, ist das Ticken der Uhr. Deshalb würde ich vorschlagen: Lass den Einstieg so, wie wir das gerade besprochen haben, pack ein paar menschelnde Elemente dazu und gut is’.«
Kati sah ein, dass er recht hatte. Die im Layout für ihren Artikel vorgesehenen achtzig Zeilen würden sie ohnehin dazu zwingen, sich kurz zu fassen. Trotzdem bemühte sie sich in den nächsten fünfundvierzig Minuten, Fakten und Unterhaltsames möglichst gleich stark zu gewichten, beschrieb die glitschigen Dartpfeile und die platzenden Melonen, ließ Manni und Helmut, Max und Heidemarie zu Wort kommen und schilderte ausführlich, wie Georgette schließlich doch noch ihren Auftritt hatte und dem Schützenkönig zu Ehren ihre ganz persönliche Version vom Kufstein-Lied zum Besten gab.
Heinz, der sich die fertige Zeitungsseite schließlich zum Korrekturlesen ausdruckte, vertiefte sich sofort in die Lektüre und verzog währenddessen keine Miene. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, blickte er endlich auf.
»Und? Was sagst du?«
»Nicht viel«, meinte er. »Außer, dass ich mich vorhin geirrt habe.«
»Inwiefern?«
»Du musst doch nicht mehr so viel lernen, wie ich gedacht habe.«
Sie brauchte ein paar Sekunden, bis sie das große Lob, das sich hinter seinen Worten verbarg, erfasste. »Du meinst, wir können das so drucken, ohne dass Jonas mich dafür am Montag teert und federt?«
»Ich meine, dass du einen Text geschrieben hast, den man gerne liest. Und dass es dir deshalb scheißegal sein sollte, was Jonas darüber denkt.«
»Aber er ist der Chefredakteur …«
»Und du bist die Reporterin. Du warst vor Ort, und du hast deine Arbeit ordentlich abgeliefert. Für seinen Geschmack dürfte ein bisschen zu viel Herz drin sein, aber das liegt nur daran, dass er im Moment generell Probleme mit seinem Herzen hat.«
»Wegen seiner Frau?«
»Auch. Vor allem aber setzt es ihm zu, dass keiner weiß, was mit dem Verlag passiert. Wenn die Zeitung nämlich an Tredbeck verkauft wird, fallen hier eine Menge Jobs weg. Und der von Jonas dürfte einer der ersten sein.«
Schuldbewusst nagte Kati an ihrer Unterlippe. In den letzten Wochen war sie so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass sie völlig aus den Augen verloren hatte, was die andauernde Ungewissheit für ihre Mitarbeiter bedeutete. »Das ist also der Grund, warum Jonas immer so angespannt ist«, überlegte sie laut.
»Er will im Moment einfach keinen Fehler machen. Deshalb ist er so streng zu dir.«
»Glaubst du, er bewirbt sich schon anderswo?«, fragte sie und hatte plötzlich Angst, dass es genau so sein könnte. Die Grümmsteiner Zeitung ohne Jonas? Das wäre einfach undenkbar.
»Möglich ist das schon. Aber soweit ich weiß, will er gar nicht weg von hier – schließlich ist er wegen der Kinder auf die Hilfe seiner Eltern angewiesen.«
»Das tut mir alles so leid, Heinz«, entfuhr es ihr spontan.
»Wieso ausgerechnet dir? Du kannst doch am allerwenigsten dafür.«
Er wusste nicht, wie sehr er
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