Abgehakt
Unschuldslämmer.«
»Sarkasmus ist hier fehl am Platz.« Jetzt kippte auch Anne ihren Schnaps herunter. »Noch bei unserem letzten Telefonat habe ich dir gesagt, dass du enttäuscht sein würdest, und dich gefragt, was wäre, wenn er mit mir ins Bett ginge, weil ich es für sehr wahrscheinlich hielt. Du hast gesagt, damit müsstest du dann leben.« Annes Stimme wurde laut. »Also lebe damit und benimm dich nicht wie die beleidigte Leberwurst.«
Einige Minuten sagte keine der beiden Frauen ein Wort.
»Erzählst du mir, wie es dazu gekommen ist?«, bat Kelly schließlich leise und blickte Anne traurig an. »Vielleicht verstehe ich es dann.«
Anne nickte und fing an zu erzählen. Als sie geendet hatte, nahm sie Kellys Hand. »Es war eine irrsinnige Wette, und wir hätten es nicht tun sollen, aber –«
Kelly unterbrach sie lächelnd. »Aber dann hättest du nicht diesen wirklich guten Sex gehabt. Und das wäre doch, im Nachhinein betrachtet, wirklich schade gewesen.«
»Du bist mir nicht mehr böse?«
»Nein. Ich hätte mich nicht so aufregen sollen. Das war dumm. Ich habe eben tatsächlich geglaubt, Saskia und Mark wären so glücklich miteinander, dass er nicht fremdgehen würde.« Sie schüttelte den Kopf.
»Sie sind auch glücklich.«
»Klar, und deshalb geht er mit dir ins Bett«, entgegnete sie trocken. »Gut, dass das jetzt abgehakt ist. Aber es muss euer kleines Geheimnis bleiben und darf sich nicht wiederholen. So hat unsere Wette wenigstens keine Folgen.«
20
Als am Montagmorgen der Anruf kam, war Martin gerade damit beschäftigt, die Ehefrau von Nils Breitner zu befragen. Eine Weile sagte er nichts, hörte nur zu, während er immer bleicher wurde. »In Ordnung. Wir sind unterwegs.« Martin legte den Hörer kräftiger auf, als es nötig gewesen wäre. »Scheiße!«, rief er impulsiv und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Für einen Augenblick hatte er vergessen, dass ihm Frau Breitner gegenübersaß. »Entschuldigen Sie, wir haben einen Notfall«, erklärte er ihr. »Mein Kollege wird die Befragung beenden. Einen Augenblick, bitte.«
Er lief ins Nebenzimmer, wo Paul und Michael saßen. »Wir haben eine neue Leiche auf einem Parkplatz in der Texasstraße. Wieder eine mit Haken auf der Brust, wieder eine Frau.«
»Mist«, Michael war schon aufgestanden. »Der Täter hat’s aber jetzt eilig.«
»Nicht nur der. Wir auch! Michael, du kommst mit mir. Paul, führst du bitte die Befragung von Frau Breitner zu Ende?«
Paul nickte nur.
Auf dem Weg zum Wagen fragte Michael: »Die Texasstraße liegt ziemlich nahe an der Judoschule, in der die Klein arbeitet, oder?«
»Nein, nicht ziemlich nah. Die Judoschule ist in der Texasstraße.«
Michael und Martin erreichten den Parkplatz fünfzehn Minuten später. Vor der Absperrung hatten sich bereits einige Journalisten und Schaulustige versammelt. Ein Streifenpolizist kam auf die beiden Männer zu. »Sind Sie Herr Sandor?«
Martin nickte, zeigte seinen Ausweis und stellte Michael kurz vor.
»Ich war der Erste am Tatort, nachdem uns eine Frau Wolf gerufen hat. Sie hat die Leiche entdeckt«, erklärte der junge Mann, während er mit ihnen auf einen Golf zuging, der mitten auf dem Parkplatz stand.
»Hat jemand etwas angefasst?«, fragte Martin.
»Ich habe beim Eintreffen nur kurz die Tür geöffnet, weil ich feststellen wollte, ob sie noch lebt. Aber als mir der fürchterliche Gestank in die Nase stieg, war klar, dass sie tot ist. Dann habe ich nur noch von außen hineingesehen und auch den Haken auf der Brust entdeckt.«
»Gut.«
»Soll ich feststellen, auf wen der Wagen zugelassen ist?«, fragte der Polizist.
»Ja, bitte tun Sie das.« Martin trat dicht an den Golf, sodass er das Gesicht der Toten sehen konnte. Es überlief ihn eiskalt, als er Eva Klein erkannte. »Das darf doch nicht wahr sein!« Schnell zog er ein Paar Latexhandschuhe aus seiner Jackentasche und streifte sie über, bevor er die Fahrertür öffnete. Der Gestank des Todes traf ihn mit voller Wucht. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Sein Gesicht verzog sich in einer Mischung aus Abscheu und Trauer. »Warum, zum Teufel, haben wir sie nicht observiert?«
Michael hatte die Beifahrertür geöffnet und hielt sich angewidert die Hand vor die Nase. »Ich bin sicher, wir hätten das trotzdem nicht verhindern können«, versuchte er Martins Selbstvorwürfe zu mildern.
»Schau dir das an!« Martin schüttelte den Kopf. Sein Blick glitt über die großen Blutflecken auf
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