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Abgehauen

Abgehauen

Titel: Abgehauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Krug
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einander Mut zu machen. Er sagt, er würde seinen Ausreiseantrag selbst dann abgeben, wenn meiner abgelehnt würde. Nach dem Tee begleite ich ihn zum Taxistand. Kurz bevor er in den zerbeulten WOLGA steigt, fragen wir uns, was eigentlich passieren müßte, damit wir doch noch hierbleiben. Noch habe ich meinen Vertrag beim DEFA-Filmstudio. 3000 Mark brutto im Monat, davon könnte man gut leben. Aber wenn ihnen morgen einfällt, mich rauszuschmeißen, schmeißen sie mich raus. Da könnte auch der Genosse Hans-Dieter Made, neuer Generaldirektor der DEFA, nichts machen.
    Made ist seit 15 Jahren Kandidat des ZK. Er war der erste von allen meinen potentiellen Arbeitgebern, dem sie erlaubt, vielleicht sogar befohlen haben, mich nach dem Ausreiseantrag zu einem Gespräch zu empfangen. Meine Erinnerungen an ihn stammten noch aus den frühen 60er Jahren. Damals war Made Intendant der Karl-Marx-Städter Bühnen und organisierte alljährlich die »Maitage«, ich hatte mit den JAZZOPTIMISTEN BERLIN ein Konzert in seinem Opernhaus.
    Made ist ein kräftiger Mann, zwölf Stühle, seinem Auftreten nach etwa das, was man sich unter einem Heldenbariton vorstellt, vielleicht einen halben Kopf zu kurz. Er gibt sich freundlich, laut und unverbindlich. Seine Gedanken scheinen ihm so wertvoll zu sein, daß er nur wenige davon preisgibt, man muß sie aus einem Schwall von Worten herausfangen. Ich kann ermitteln, daß seine Rede auf den Vorschlag hinausläuft, ich könne durch Stillhalten nur gewinnen. Gewiß sei es das beste zu warten, bis der Rauch sich verzogen habe. Mein Vertrag würde gültig bleiben, und irgendwann, nach gründlichem Kuschen, wird man wei tersehen. Hungern müßte ich vorerst nicht. »Was halten Sie davon«, sagt er. »Wie ist überhaupt Ihre Stimmung?« »Meine Stimmung ist schlecht, Herr Made«, sage ich. »Statt mich anzurufen, haben Sie den Film ›Feuer unter Deck‹ aus dem Sommerfilmprogramm herausgenommen, weil Sie nur zu gern auf das Parteigerücht eingegangen sind, wonach ich, einfach so, einen aufrechten Genossen niedergeschlagen haben soll. Der war in Wahrheit ein Stasibeamter, den sie für einen Test eingeteilt hatten. Ein Mensch, der in der Öffentlichkeit von einem Schweizer Bankkonto faselt, das ich haben soll. Sie wissen doch, was es für einen DDR-Künstler bedeutet, eine solche Behauptung unwidersprochen hinzunehmen. Der soll sich nicht beklagen. Dafür ein paar Backpfeifen, das ist nicht zuviel. Jetzt haben Sie offenbar die Genehmigung, mit mir zu sprechen. Sie sagen, sie hätten zwei Filme mit mir im Keller, und es bestehe die Absicht, diese Filme aufzuführen. Ich lebe nicht von der Aufführung meiner Filme, sondern davon, daß ich welche drehe. Bisher hat es niemand für nötig gehalten, mir die Aufführung oder Nichtaufführung meiner Filme anzukündigen. Sie empfehlen mir, den Kopf einzuziehen und versuchen mich mit der Aussicht zu trösten, daß ich ihn eines Tages wieder herausrecken darf. Dazu habe ich keine Lust, dazu empfinde ich mein Verbrechen als nicht groß genug. Das sollte man nicht jedesmal nach diesem Schema machen, und nicht mit jedem. Ich bin nämlich ein ganz besonderer Schauspieler in diesem Land.«
    Mäde sieht mich verständnislos an und sagt: »Wieso denn das?«
    »Sehen Sie, den Frieden mit der Regierung zu machen, wäre eine an Leichtigkeit kaum zu überbietende Aufgabe gewesen. Wenn ich geschrieben hätte, meine Unterschrift sei in der ersten Wut auf die Liste geraten, ich sei empört über den Mißbrauch, den der Klassenfeind damit treibt, ich sei halbwegs überrumpelt worden und sähe erst jetzt, welchen Fehler ich gemacht hätte, welchen zwielichtigen Leuten ich mich da angeschlossen hätte, gerade ich als populärer Schauspieler und so weiter, dann säße ich jetzt nicht vor Ihnen, sondern wäre mit den Dreharbeiten zum ›Götz von Berlichingen‹ beschäftigt. Sie müßten vielleicht sogar auf mich warten, weil ich mit Günther Fischer in Köln oder Regensburg konzertieren würde. Das wäre so einfach, Herr Mäde, daß es schon lächerlich wäre. Ein solcher Brief müßte nicht halb so brillant sein wie der von Professor Maetzig an Walter Ulbricht im NEUEN DEUTSCHLAND von 1965. Selbst wenn mein bockiger Charakter einen solchen Brief durchlassen würde – es ginge nicht. Eben weil ich ein besonderer Schauspieler bin in diesem Land. Ich meine nicht das Talent. Ich weiß schon, daß ich die Lücke, die der Tod von Emil Jannings gerissen hat, nicht füllen kann. Ich

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