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Abgehauen

Abgehauen

Titel: Abgehauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Krug
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meine, daß der Schauspieler Krug und die Person Krug als identisch betrachtet wurden, daß da eine seltene Ausstrahlung von Echtheit und Freiheit war, von Unbefangenheit, da war eine Person, die sich nicht hat verbiegen lassen, jemand, von dem die Hälfte aller Interviews weggeworfen wurde, und den Rest konnte man immer noch nicht senden, weil zuviel Geradheit und Selbstvertrauen darin zu vernehmen war. Selbst auf der Leinwand blieb davon noch was übrig, und die Leute sagten: Kuckt euch den an, so was gibt’s, solche Typen existieren, mitten in der sozialistischen Darstellungsroutine ein Mensch, dem man glauben kann. Und die Leute waren froh, glauben zu können, selbst wenn ich einen Parteisekretär gespielt habe. Denn ich habe keinen Parteisekretär gespielt, den ich kannte, keine von diesen armen, geschlagenen Kreaturen aus der Wirklichkeit von Leuna II vorgeführt, sondern den Parteisekretär, der ich selbst sein wür de, wenn das die Partei wäre, die mich brauchen oder wenigstens ertragen kann. Was wäre aus diesem nur in der DDR möglichen, einmaligen Verhältnis zwischen meinem Publikum und mir geworden, wenn ich jetzt gelogen hätte? Es war ein Vertrauensverhältnis , verstehen Sie? Zwischen Schauspieler und Publikum. So was gibt es vielleicht auf der ganzen Welt nicht noch mal. Dieses Publikum, das sind nicht meine Fans, das sind meine Freunde. Und die Freundschaft wird jetzt auf breiter Front zerstört durch die mieseste Rufmordkampagne, die man sich vorstellen kann. Krieche ich zu Kreuze, bin ich kaputt. Krieche ich nicht, macht ihr mich kaputt.«
    »Ach, das sehen Sie alles ein bißchen schwarz«, sagt Made. Er sei mit den Maßnahmen der Regierung voll einverstanden, er billige den Rausschmiß Biermanns, verurteile die Veröffentlichung der Petition beim Gegner. Allerdings höre er mit Vergnügen, wie ich mein Selbstbewußtsein vortrage und meine Gewißheit, ein guter Schauspieler zu sein. In Fragen des Selbstbewußtseins bis hin zur Selbstüberschätzung stehe er mir allerdings nicht nach, auch er halte große Stücke auf seine Leistungen, das Gebiet allerdings, auf dem er sich sicher fühle, sei das der Politik, insbesondere der Kulturpolitik. »Sie sollten sich, Herr Krug – ich sage das jetzt einmal so, nicht mit der Absicht, Sie zu kränken, eher in der Hoffnung, Ihnen eine Hilfe zu geben –, Sie sollten, sage ich, sich nicht hinreißen lassen, jetzt so was wie ein Hobby-Politiker werden zu wollen, das ist nicht Ihr Metier.« Das sei aber sehr wohl sein Metier, und wie er mir als Schauspieler vertraue, so möge ich ihm ruhig als Kulturpolitiker vertrauen. Er sei es gewohnt, seine Entscheidungen stets unter dem vielfältigen Aspekt des historischen Gesamtprozesses zu sehen. Was diesen Punkt angehe, sei ich offenbar weit zurück. Er hoffe dennoch, dieses Gespräch würde der Beginn einer Reihe von guten Gesprächen sein. »Gleich nach Ihnen«, sagt er, »kommt Ulrich Plenzdorf, mit dem ich ähnliche Probleme behandeln werde.«
    Auf Wiedersehen. Nichts Genaues. Kein Angebot. Immerhin bin ich noch nicht entlassen, das ist schon mal anständig. Wenn ich in diesen Wochen, da der Regierungsbus so ein bißchen durch die Schlaglöcher schlingert, nach dem Westen gehe, dann schäumt es im Volk noch einmal heftig auf, vielleicht ebenso heftig wie bei dem Komiker Cohrs oder Nina Hagen. Eine Unannehmlichkeit, die sich verhindern läßt, indem man mich ruhigstellt, und später stellt man mich kalt, und wenn die Stimmung im Land wieder harmonisch ist, dann, vielleicht!, in drei Teufels Namen ab mit dem, in den Westen. Verzeihen werden sie mir nie. Schauspieler sind schnell vergessen, noch schneller sind sie vergessen gemacht. Immer mehr Leute trauen ihren Augen nicht, wenn sie sehen, daß ich noch da bin. Ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist, weiß ich nicht. Wähnen sie mich schon im Westen? Oder im Knast? In der Friedrich-Engels-Straße fährt der Kohlenhändler mit seinem neuen Wartburg am hellichten Tage gegen eine Gaslaterne, weil er den Blick nicht von mir wenden will. Die Laterne fällt einfach um, der Wartburg rast davon, ich gehe meiner Wege und habe nichts gesehen. In letzter Zeit begegnen mir ungläubige Gesichter, man sieht mich an wie einen Geist. Autos überholen mich unter gefährlichen Manövern, die Insassen wollen klären, ob ich es bin oder nicht.
    Zu Hause sehe ich in den Briefkasten, frage nach einem Anruf, nichts.
     
    Am Abend sind Ottilie und ich bei dem Komponisten Günther

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