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Abgehauen

Abgehauen

Titel: Abgehauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Krug
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Ansichten zu äußern gehabt als die, die uns von Anfang an schon aufgeregt hätten. Allerdings habe er dies mit einer Stimme getan, die klingen sollte wie unter vier Augen. Das einzig Amüsante sei ein Mißverständnis gewesen: Zu Beginn des Gesprächs über die Biermann-, später Schriftsteller- und schließlich Staatsangelegenheit habe Jurek gesagt, daß das Ganze nicht passiert wäre, wenn die verantwortlichen Leute die Folgen richtig berechnet hätten. Was wir heute erlebten, sei das Resultat einer Fehleinschätzung. Überraschend habe Höpcke dieser Meinung zugestimmt, und es sei ihm, Jurek, eine Genugtuung gewesen, beim Verlagsminister über dessen eigene Untaten immerhin Reue zu finden. Dann, bei der Verabschiedung, habe Höpcke die Rede noch einmal auf diesen Punkt gebracht und gefragt, wen Jurek mit den Leuten gemeint habe, die die Entwicklung falsch vorausgesehen hätten. Jurek sagt, natürlich habe er die verantwortlichen Politiker im Politbüro gemeint, wen denn sonst? Da habe Höpcke verwundert den Kopf geschüttelt, er habe gedacht, die zwölf Schriftsteller seien gemeint gewesen. Gott sei Dank herrschte da wieder Klarheit, die Nichtübereinstimmung war wieder vollkommen.
    Das Haus des Lehrers hat einen großen Kuppelsaal. Bevor wir den Dunst des Basars verlassen, werfe ich einen Blick in diesen Saal, in dem ich so viele Konzerte gegeben hatte, darunter auch ein denkwürdiges im Jahr 1965, als der VERLAG VOLK UND WELT die Veranstaltung JAZZ & LYRIK ins Leben rief. Das Konzert sollte beginnen, die JAZZOPTIMISTEN BERLIN, Annekatrin Bürger, Gerd E. Schäfer und andere standen zum Auftritt bereit. Einen Tag vor der Premiere hatte ich die Frage zu beantworten, ob ich lieber das Biermann-Lied vom Briefträger Moore aus dem Programm oder mich selbst von der Liste der Unterhaltungskünstler zu streichen gedächte. Ich hatte mich zu meinen Gunsten entschieden. Das Konzert sollte also losgehen. Plötzlich kam die Nachricht, Biermann sei unter dem Publikum gewesen, vor dem Eingang verhaftet und in einem Polizeiauto mitgenommen worden. Es gab Aufregung hinter der Bühne. Der damalige Verlagsminister Bruno Haid tauchte in der Garderobe auf, und in einem Anflug von Tollkühnheit sagte ich: »Herr Haid, sobald Biermann wieder da ist, treten wir auf.« Jazz-Ansager Werner Sellhorn, der Unermüdliche, kuckte einen Moment listig in die Runde, dann erklärte er dem Publikum auf subtil mißverständliche Weise, daß eine technische Panne den Beginn des Konzerts verzögere, woraufhin die Leute – das hatte es noch nicht gegeben – einen leisen aber stetigen, fast konspirativen Applaus spendeten, so als sollte die Stasi nichts davon hören. Die »Panne« dauerte eine geschlagene Stunde, dann war Biermann wieder da. Nicht ein Zuhörer hatte den Saal verlassen. Das Konzert war ein großer Erfolg. Ottilie sagt: »Damals wußten sie noch, daß es der Klügere ist, der nachgibt.«
    An der frischen Luft, beim Buchbasar, treffen wir Sarah Kirsch, die nur zehn Bücher verkauft hat, mehr waren nicht da. Sie und Käthe Reichel und Schlesingers Schwägerin nehmen uns mit in deren Neubauwohnung zum Kaffee. Dort besichtigen wir ein bleistiftstarkes Bohrloch, das durch die Betonwand aus der Nachbarwohnung vorgetrieben worden war. Der Bohrer hatte versehentlich die Wand durchstoßen. Befremdet hatte die Schwägerin alle Betonkrümel aufgefegt und sich gefragt, was das für ein Wandschrank sein mag, den man so tief unten aufhängt, daß ein Loch durch die Scheuerleiste gebohrt werden muß. Gleich nach dem Durchstoß hatte sie beim Nachbarn geklingelt, um den Grund für die Bohrung zu erfragen. Der Nachbar hat sich über alle Maßen gewundert, weniger über das Loch als vielmehr darüber, daß sie heute offenbar ihren Waschtag hatte. Aber bei allem, was ihm heilig sei, er habe nicht im geringsten gebohrt, sondern brav an seiner Schreibmaschine gesessen. Na ja. Das Loch hat sie dann mit Dübelmasse zugekleistert, und so kann man noch heute den Gipspfropfen in der Scheuerleiste sehen, den sie mit Schuhcreme nachgebräunt hat.
    Die kleine Käthe Reichel, einst gefeierte Shen Te und Freundin Brechts, hakt mich unter, sondert mich von den anderen ab und berichtet flüsternd – sie berichtet nur flüsternd – von einem wichtigen Gespräch, das sie heute mit ihrem Chef, dem Intendanten des Deutschen Theaters, gehabt habe. Der habe aus der Umgebung des Politbüros gehört, daß meine Annahme, man wolle mich loswerden, falsch sei, im Gegenteil,

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