Abgehauen
daran habe niemand ein Interesse, Käthe sollte doch mal mit mir reden, der Intendant sei unter der und der Nummer zu erreichen. Ich habe diesen Mann nie gesehen, sage ich, das sei aber eine überraschende Initiative. Der Intendant des Deutschen Theaters wäre bis zum 18. April dafür zuständig gewesen, mir meinetwegen eine Gastrolle an seinem Haus anzubieten. Jetzt hätte ich keine Zeit mehr, und er sei nicht verpflichtet, sich um mein Schicksal zu kümmern.
Am Nachmittag besuchen mich Stefan Heym und Frau Inge. Ihn plagt etwas, und es stellt sich heraus, daß es das schlechte Gewissen ist: »Ich habe dich gestern bedrängt und dich vielleicht mutlos gemacht, das war Unsinn. Ich habe es mir überlegt, du bist in einer anderen Situation, du solltest tun, was du tun mußt, ich sollte dir eher Mut machen. Ich war nur traurig über eine junge Freundschaft, die keine Chance hatte, eine Freundschaft zu werden. Und was wird mit Jurek? Ich sehe doch, daß es immer weniger werden.«
Da macht Stefan Heym, der Südberliner, diesen Umweg über den Norden, um mir das zu sagen. Die beiden Heyms sind die DDR, die zu verlassen weh tut. Meine Rührung verstecke ich hinter dem Satz: »Wenn die Ausreiseanträge von mehr als der Hälfte aller Einwohner vorliegen, wird die Regierung sich vielleicht als abgewählt betrachten.« Die Abende werden wieder liebevoller, Ottilie und ich sind viel zusammen.
2. Mai 1977, Montag
Das Telefon klingelt um ein Uhr mittags, der Kulturminister ist dran. Der war noch nie dran, und ich war noch nie bei ihm, nicht bei Abusch, nicht bei Bentzien, nicht bei Gysi, und nun ist der Kulturminister Hoffmann dran, er selbst. Schon an dem Ton, in dem er mit mir redet, kann ich erkennen, wie er mit mir reden will. Er sagt: »Wir müssen mal über alles sprechen.« Ich möchte ihm so gern sagen: »Sie können mich mal!« und dann auflegen. Aber das würden sie mir als Feigheit auslegen, und es wäre Feigheit. Er schlägt übermorgen vor, das ist ein Tag vor meinem Termin beim Rat des Stadtbezirks.
3. Mai 1977, Dienstag
Keine Autogrammbriefe mehr. Die Leute schreiben mir nicht mehr. Allmählich wurde es weniger in den letzten Monaten. Mir ist klar, warum. Entweder weil die Stasi die Post abfängt und kompostiert, oder weil die Autogrammsammler sich nicht erwischen lassen wollen. Aber heute liegen drei Briefe im Kasten. Zwei alte Freunde schreiben:
Liebe Ottilie, lieber Manfred!
Wenn die Verdichtung von Gerüchten bedeutet, daß sie zutreffen, werden wir demnächst um Euch armer. Wir hoffen nur, Ihr wißt, daß Ihr Euch von uns verabschieden solltet. Sonst wäre alles noch viel deprimierender, als es ohnehin schon ist.
Herzlich
Jutta und Peter
Und eine Frau schreibt:
» … Schicken Sie ein paar Zeilen! Mit mir würden sich viele Leute in Johannstadt freuen, wenn die Nachricht käme: Manne Krug ist noch da …«
Und eine andere:
»Wir haben Sie schon lange nicht mehr auf dem Bildschirm gesehen. Hoffen Sie noch, daß sich das wieder ändert? Alle erzählen, daß Sie im Gefängnis sind.«
Das ist eines der vielen präventiven Gerüchte, das Volk ist inzwischen mit jeder Möglichkeit vertraut. Ich könnte im Westen, aber auch im Gefängnis sein. Viele erzählen die Geschichte, ich sei mit zwei Benzinkanistern zum Haus des Schauspielers Erik S. Klein gekommen, um es anzuzünden, falls er nicht unterschreibt. Man hört auch, daß ich mit Rauschgift handle und daß ich containerweise Antiquitäten in den Westen verschoben hätte. Das, was die Bildzeitung im Westen leistet, muß im Osten von Mund zu Mund bewältigt werden, die Geschichten sind noch monströser als bei den Regenbogen-Profis. Manchmal glaube ich, die Menschen sind ganz gierig auf ihre eigene Verblödung, die sie nach außen gern als harmlose Amüsierlust abtun. Alle die üblen Nachreden wären gar nicht erst aufgekommen, wenn das Volk im NEUEN DEUTSCHLAND hätte lesen können, was wir unterschrieben haben. Also arbeiten die Spezialisten der SED auf andere Weise mit den gleichen Rufmordkampagnen wie die im Westen, nur daß sie dafür die vielgeschmähte Bildzeitung gar nicht brauchen. Sie könnten sie auch nicht machen. Sie können überhaupt keine Zeitung machen.
Das äußerste, was man von unseren Politköpfen erwarten darf, ist, daß sie denselben Fehler vielleicht nicht wiederholen. Die Korrektur eines bereits gemachten Fehlers ist undenkbar. Den Biermann zurückzuholen, womit sie ihn vielleicht am meisten ärgern
Weitere Kostenlose Bücher