Abgehauen
könnten, die Petition doch noch zu drucken und, jawohl, mich doch den »Götz« und den »Kohlhaas« spielen zu lassen, und zwar bevor ich die Ausreise beantrage, das alles ist undenkbar. Halbgötter können sich nicht geirrt haben, sie können höchstens im voraus wissen, daß sie sich irren werden.
4. Mai 1977, Mittwoch
Punkt neun stehe ich im Büro des Kulturministers. Eine Sitzecke, ein Schreibtisch, Regale mit vielen gleich aussehenden Büchern, an der Wand ein gefälliger Niederländer, friedliche Landschaft mit Staffage.
Hoffmann ist ein proletarischer Typ, groß, eingepackt in festes Fett, in seinem sibirischen Gesicht zwei Bärenaugen. Ich ziehe meine Jacke aus, weil mir die Hitze hochkommt und weil Hoffmann selbst im Hemd dasteht. Er sagt: »Recht so, reden wir in Hemdsärmeln.« Die Ärmel krempelt er hoch, weil er glaubt, ich wäre im Kopf so einfach organisiert wie die Charaktere, die ich gespielt habe, und weil er glaubt, mir seine Zugänglichkeit zeigen zu müssen. Das Gespräch eröffnet er mit den Worten: »Wollen wir den Krieg beenden?«, worauf ich keine Antwort wage. Nein geht nicht und Ja würde heißen, daß ich bisher Krieg mit ihm hatte. Der Minister erklärt mir die Weltlage, die Schwierigkeiten in den beiden Deutschlands. Die Regierung sei in Zugzwang gewesen, nachdem die Kirche dem Biermann Auftrittsmöglichkeiten gegeben habe. »Was sollten wir tun? Sollten wir ihn einsperren?« Er wisse sehr wohl, daß ich keiner von den stillen Unterzeichnern gewesen sei, daß ich im Gegenteil nichts unversucht gelassen hätte, weitere Unterschriften zusammenzukriegen. Vergessen. Nun sollten wir einen Schlußstrich ziehen und gemeinsam über einen Neubeginn nachdenken.
Beim Sprechen findet er Zeit, mich zu beobachten, weil er doch nicht so genau weiß, was ich für einer bin. Um es herauszufinden, unterbricht er sich mehrmals selbst und lädt mich neugierig zum Mitreden ein.
»Mein Verbrechen«, sage ich, »war nicht größer oder kleiner als das jedes anderen Unterzeichners. Freilich hat sich damals jeder an Freunde gewandt, die Liste weitergereicht. Ich war sogar zu faul, deswegen durch die ganze Stadt zu fahren. Einen Spaziergang hab ich gemacht, in meiner Gegend, vier, fünf Freunde besucht. Den Schauspieler Drinda, der hat gesagt, er wisse leider nicht, wer Biermann sei und was er geschrieben habe, deswegen könne er sich nicht äußern. Der Architekt Henselmann, dem mit seiner Rente nichts mehr passieren konnte, der hat mich glatt rausgeschmissen und es überall erzählt, um Bewunderung einzuheimsen. Dann habe ich noch die Mutter des Oktoberklubs, Gisela Steineckert, gefragt, die hatte ich zu mir nach Hause eingeladen. Die nackte Angst kuckte aus ihren leichtfertigen Augen. Die hat gleich am nächsten Tag erzählt, daß sie in meinem Haus in eine konspirative Runde geraten sei, und von ihr stammt die Behauptung, ich hätte Druck ausgeübt. Der Komponist Matthus wollte es sich noch ein bißchen überlegen, damit ist er bis heute beschäftigt. Der einzige, der auf meine Rechnung kommt, ist Günther Fischer, und der hat am nächsten Morgen in aller Frühe und aller Stille seine Unterschrift zurückgezogen. Wenn das keine Pleite ist.« Ich breite jene Tage in allen Einzelheiten vor ihm aus, schildere ihm unter Jammern, wie mich seine und andere noch immer lebendige Lügen niedergedrückt haben. »Es ist ein halbes Jahr vergangen, Genosse Minister«, sage ich, »hätte man da nicht eine Stunde Zeit finden können?«
Zwischendurch wird mir klar, daß dies das letzte Gespräch sein wird, mir bricht manchmal die Stimme. Das Land, in das ich gehen will, kommt mir so furchtbar fremd vor. Aber ich bleibe bei meiner Sache. Seine Verhandlungsroutine, die er in vielen ähnlichen Gesprächen erworben haben muß, ist erstaunlich. Er droht nicht, er erpreßt nicht, er holt Vorschläge aus der Hosentasche, die er sich, wie um mein Herz zu rühren, auf einen zerknitterten Zettel geschrieben hat. Er erniedrigt sich. Jedes Angebot, das er macht, kommt mir wie ein Schlag ins Gesicht vor. Bald drei Stunden arbeitet er mit mir. Er gibt sich mannhaft, zärtlich, kämpferisch, nachgiebig, er tut mir in der Seele leid. Er sagt: »Wir machen eine Tournee durch die Č SSR, durch die DDR, durch die Sowjetunion. Sagen Sie mir, wo Sie privat hin wollen, in jedes Land der Erde, Sie werden reisen.« Ich sage: »Bitte sprechen Sie nicht weiter. Ich weiß jetzt, daß ich nicht hätte kommen dürfen. Ich wollte kein
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