abgemurkst: Maggie Abendroth und das gefährliche Fischen im Trüben (German Edition)
Knipser noch lebt, wäre ich volltrunken. Hurra! Das wäre doch eine sehr stilvolle Geburtstagfeier für meinen 38sten.
Ich stand schon fast fünf Minuten unentschlossen auf der Bordsteinkante und rauchte. Da sah ich meinen Lieblingsdoktor, vertieft in Selbstgespräche, direkt auf mich zulaufen – Dr. Müller, der Orthopäde. Er begrüßte mich überschwänglich, fragte sofort nach dem Befinden meiner Füße, an die er sich immer noch genau erinnern konnte. Vor allem deswegen, weil er sie nicht hatte röntgen dürfen, wie er mir erklärte.
»Wollen Sie sich die mal anschauen? Neuerdings machen sie Probleme«, stieg ich auf das Thema ein.
»Aber gerne«, sagte er und ging stracks auf die Tür zu. »Dann mal reinspaziert. Ich habe gerade keinen Termin.«
»Herr Müller, Sie dürfen sie sehen, wenn Sie mir einen Tipp geben.«
Er drehte sich um und schaute auf meine Turnschuhe. Dr. Müller schien zu überlegen, ob der Anblick meiner Füße den Deal wert war. Er hatte sich endlich entschieden und nahm fürsorglich meine Hand. »Was brauchen Sie denn, Frau Abendroth, Schmerztabletten oder Schlaftabletten?«, murmelte er. »Ich könnte Ihnen auch ein bisschen Valium …«
Wie bitte?
»Äh, nichts von alledem. Ich brauche die Adresse von Sibylle Schröder-Fröse. Ich muss dringend mit ihr sprechen, aber die Frau von der Rezeption sagt, sie sei krank. Aber ich bin extra wegen ihr hergekommen. Über 200 Kilometer. Es geht um Oma, an die erinnern Sie sich doch bestimmt. Berti Blaschke.«
Er ließ meine Hand los. »Ach so. Kein Problem. Sibylle wohnt direkt neben dem Reitstall. Da oben, in der Siedlung, wissen Sie?«
»Welches Haus denn? Welche Straße?«
»Die Nummer weiß ich nicht, aber es ist das Haus mit den riesigen Rhododendren. Außerdem hat sie jede Menge Skulpturen von Ariadne im Garten. Das werden Sie finden … die hat übrigens Füße … o là là …«
»Danke, Dr. Müller. Ich muss dann mal los.«
»Und Ihre Füße?«, rief er mir hinterher.
»Wenn ich zurück bin. Bestimmt. Versprochen.«
»Aber nicht vergessen. Ich warte hier auf Sie.«
Worauf ich mich verlassen konnte.
Ich parkte vor einem Haus, auf das die Beschreibung passte. Jede Menge Skulpturen und Rhododendren. Der Angeber-Volvo vom Knipser war weit und breit nicht zu sehen. War ich zu spät? War ich zu früh? War ich vielleicht im falschen Film?
Maggie, fahr nach Hause! Jetzt sofort! Hak es ab und fahr nach Hause. Er ist nicht hier. Lass sie alle über dich lachen. Macht ja jetzt auch nichts mehr aus.
Ich zündete mir noch eine Zigarette an und blieb im Wagen sitzen. In den umliegenden Gärten machten die Rasensprenger ffft, ffft, ffft.
Aber was, wenn sie den Knipser schon in den Wald geschleppt hatte oder in den Keller oder im Mixer zerkleinert …?
Ich stieg aus. Bis auf das Geräusch der Rasensprenger und das Gesumm der Bienen war nichts zu hören. Noch nicht einmal ein Hund. Es schien niemand zu Hause zu sein. Unschlüssig stand ich vorm Gartentor. Nichts rührte sich. Ich ging um das Haus herum. Ich spähte durch die Rhododendronbüsche. Auf der Terrasse standen ein Teakholztisch und drei Holzstühle. Ein Buch lag aufgeschlagen auf dem Tisch. Neben einem der Holzstühle stand ein Fotostativ. Bevor ich überhaupt wusste, was ich tat, war ich über den Jägerzaun gestiegen und hatte mich durchs Gebüsch gewühlt. Dann stand ich zitternd auf der Terrasse und hatte das Stativ in der Hand. Ich fuhr zusammen, als ich hinter mir die Forelle sagen hörte:»Frau Abendroth, was machen Sie denn hier?«
»Wo ist er?!« Ich schwang drohend das Stativ in ihre Richtung. Für Angst hatte ich keine Zeit. Und als sei es das Normalste von der Welt, mich auf ihrer Terrasse zu sehen, setzte sich die Forelle auf einen der Holzstühle und schnäuzte sich die Nase.
»Wo ist er? Was haben Sie mit ihm gemacht?!« Ich knallte das Stativ auf den Tisch.
»Von wem sprechen Sie denn um Himmels willen, Frau Abendroth?«
»Vom Fotografen, von dem, dem das Stativ hier gehört! Was haben Sie mit ihm gemacht?«
»Nichts. Er ist mit Ariadne in den Wald gefahren. Ins Atelier. Und jetzt wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mein Haus verlassen. Ich bin krank.«
»Er hat gar keinen Termin mit Ihnen?«
»Nein«, sagte sie und lächelte mich an, als würde hinter irgendeinem ihrer riesigen Rhododendren gleich die Pointe, die ich offensichtlich nicht verstand, hervorspringen.
Ich schaute mich kurz um. Immer noch keine Pointe. »Wo im Wald?«
Sibylle
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