abgemurkst: Maggie Abendroth und das gefährliche Fischen im Trüben (German Edition)
mich hochzuziehen.
Meine Zähne klapperten vor Angst, und ich fror. Meine Glieder schlotterten so sehr, dass ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Mein Exfreund wischte sich eine Ladung Schlamm aus dem Gesicht, öffnete mit zitternden Händen seinen Kamerakoffer, holte ein trockenes Päckchen Camel ohne und ein Feuerzeug heraus und zündete zwei für uns an.
»Bist … du … verrückt? Das kann man doch sehen!«
Der Knipser hustete, inhalierte aber trotzdem noch einmal tief und flüsterte: »Na und? Glaubst du, die schießt uns vom Ast? Vor all den Leuten?«
Ich war mir da nicht so sicher, nahm schnell einen tiefen Zug und drückte die Zigarette auf dem Ast aus. Meine Lunge gab einen Pfeifton von sich.
»Eine echte Wasserleiche … mein Gott.«
»Armer Mr. Pling«, flüsterte ich.
»Vielleicht … vielleicht sollte ich …«, hustete der Knipser und zog an seiner Zigarette.
»Denk gar nicht erst drüber nach.«
Er beugte sich ein wenig vor, um die Lage vor dem Burggraben zu beobachten. »Wo ist diese blöde Kuh von Therapeutin?«, nuschelte er und steckte sich seinen dreckigen Zeigefinger in die Lücke, wo seine beiden Schneidezähne fehlten. »Scheiße«, er spuckte aus, »nicht schon wieder.«
»Vielleicht ist sie ertrunken.«
»Was war das vorhin mit Pling?«
»Mein Musiktherapeut. Die Wasserleiche.«
»Musiktherapeut?«
»Mister Pling, der Besitzer der herrenlosen Hand.«
»Was faselst du? Woher kennst du überhaupt all diese Freaks hier?«
»Lange Geschichte. Willst du nicht hören.«
Er setzte sich wieder aufrecht hin und kramte in seinem Kamerakoffer herum. »Stimmt, will ich nicht hören. Ich ruf’ jetzt die Bullen an.« Er fischte sein Handy heraus. »Ej, sag mal, wie viel Nachrichten sind hier auf der Mailbox? Warst du das?«
»Nee. Wenn du nicht auf stumm geschaltet hättest, säßen wir gar nicht hier.«
»Ah, jetzt bin ich also wieder Schuld an allem.«
Er hörte doch tatsächlich jetzt seine Mailbox ab!
»Bist du auch. Du könntest wenigstens mal danke sagen.«
»Wofür? Mir fehlen zwei Zähne, und ich bin halb tot.«
»Hör auf, die Mailbox abzuhören, und ruf endlich die Polizei an.«
Er lauschte konzentriert und schüttelte den Kopf. »Du hast Gracia das Portemonnaie und das Handy geklaut?«
Das konnte doch jetzt nicht wahr sein! Ich holte das Portemonnaie und das Handy aus meiner nassen Umhängetasche und knallte beides in seinen Koffer. »Ach, halt die Klappe! Wenn ich auf deine Tussi gewartet hätte, sähst du längst aus wie ’n Grillhähnchen …« Meine Wut auf ihn hatte mich schlagartig wach gemacht. Vielleicht so etwas wie der Marathon-Effekt. »Ich kann jederzeit hier verschwinden. Ich kenn’ mich hier aus. Du nicht.«
»Mach doch … Ich komm’ schon klar«, sagte er und spulte, sein Handy noch zwischen Schulter und Ohr geklemmt, einen neuen Film in die Kamera. Ich riss ihm das Handy vom Ohr und wollte gerade den Notruf wählen, als vor dem Burgtor die Stimmen lauter wurden. Dann schrie jemand. Die Hunde bellten. Ein Schuss peitschte durch die Nacht. Vor Schreck fiel mir das Handy runter. Der Knipser knallte den Kofferdeckel zu. »Meine Güte, bist du ungeschickt.«
»Geh es doch holen, wenn es so dringend ist. Ruf deine Gracia an … vielleicht steht sie immer noch vor’m Schrank und weiß nicht, was sie anziehen soll.«
Dann brüllten mehrere Leute gleichzeitig aufeinander ein. Ich beugte mich halb auf dem Ast liegend vor, um zu sehen, was an der Burg passierte. Wieder Geschrei. Das war Sibylles Stimme. Plötzlich gingen rund um den Wassergraben alle Außenscheinwerfer an und tauchten die schmale Straße, die Wiese und den Burggraben in ein gespenstisches, orangefarbenes Licht. Der Knipser und ich, im Streit vereint, das Paar des Jahrhunderts, waren leider auch nicht mehr unsichtbar. Unter unserem Apfelbaum hatten sich fünf Schafe versammelt. Ein paar Hühner flatterten wild herum, um einen der unteren Äste zu erreichen. In dem Moment klingelte das Handy. Es spielte die Melodie von Mission Impossible, und das Display leuchtete uns hellblau aus dem Gras entgegen. Ich hielt die Luft an. Die Schafe stoben auseinander. Ein Huhn pickte neugierig nach dem kleinen Ding. Der Knipser sagte endlich mal nichts, sondern schnippte seine Zigarette weg.
Ariadne trennte sich von der kleinen Menschengruppe, die um die Burg herumgelaufen kam. Die Forelle taumelte triefnass hinter ihr her, aber Ariadne schien nur ein Ziel zu kennen: unseren Apfelbaum. Ich sah,
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