Abgeschaltet
10 Tonnen Kohlendioxidemission war jeder Samsinger verantwortlich.
Zehn Jahre später. Der Umbau der Energieversorgung auf Samsö ist abgeschlossen. Die Insel ist mit elf landgestützten und zehn Meeres-Windkraftanlagen zum Stromexporteur geworden. Vier mit Biomasse betriebene Nahwärmenetze erzeugen 43 Prozent der Heizenergie. Da der Stromüberschuss aus Windkraft gegen die verbliebene Nutzung fossiler Brennstoffe verrechnet wird, ist der CO 2 -Ausstoß pro Kopf auf –3,6 Tonnen gesunken, rechnerisch beträgt der Anteil der Erneuerbaren 98,6 Prozent. Solche Zahlen sind so faszinierend, dass Samsö in der ganzen Welt berühmt geworden ist. Eine neu gebaute Energie-Akademie, natürlich mit großer Solaranlage auf dem Dach, kanalisiert die Besucherströme.
Eine schöne neue Welt, die man, wie vom dänischen Energieministerium gewünscht, als Blaupause auf ganz Dänemark oder die ganze Welt übertragen kann? Die Nutzung fossiler Energien hat definitiv deutlich abgenommen, aber »autark« im klassischen Sinn ist die Insel nicht. Denn das Stromkabel zum Festland ist weiterhin eine Nabelschnur, um Zeiten mit schwachem Windstromangebot zu überbrücken. Umgerechnet gilt das zwar nur für etwa 15 volle Tage im Jahr, aber an denen würde ansonsten völliger Stillstand herrschen. Denn die Stromnachfrage hat nicht abgenommen, obwohl die Bevölkerung seit Ende der neunziger Jahre um 15 Prozent zurückging. Das Kabel hat noch eine weitere wichtige Funktion: Ohne den Export des Windstroms sähe die Bilanz weitaus weniger rosig aus. Als der Masterplan für die Energie-Insel gemacht wurde, ging man davon aus, dass innerhalb weniger Jahre ein guter Teil der Autos mit Elektroantrieb fahren würde. Beschränkte Reichweiten wären ausnahmsweise kein Problem – vom nördlichsten zum südlichsten Punkt sind es keine 30 Kilometer. Eine Fehleinschätzung, wie sich herausstellte. Wenige Citroens, die für die Gemeindeschwestern geleast wurden, mussten wegen technischer Probleme und ständiger Ausfälle wieder zurückgegeben werden. Nun wird der Strom der seegestützten Windturbinen komplett exportiert und gegen die verbleibende Nutzung fossiler Energie, vor allem im Transportsektor, verrechnet.
Überträgt man das Samsö-Konzept auf größere Einheiten – Dänemark, Deutschland oder gar die Europäische Union –, dann ist klar, dass man nicht eigene Umweltsünden mit dem Export sauberen Stroms kompensieren kann. Abgesehen davon, dass der Kohle- oder Gasstrom nicht außerhalb dieser Einheiten produziert werden kann. Die CO 2 -Bilanz kann also niemals negativ sein, solange nur etwas an fossilen Energien genutzt wird (es sei denn, es gelingt uns, Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre zu entfernen). Nur bedingt exporttauglich ist auch der hohe Anteil der Biomasse in der Wärmeversorgung. Die Besiedlungsdichte verbietet dies anderorts schlichtweg. Schon der von der Energie-Akademie mitverfasste Bericht zum 10-jährigen Jubiläum zeigt die Grenzen auf: Sollte ganz Dänemark auf ähnliches Weise selbstversorgt werden, müsste Samsö gemäß seinem Flächenanteil viermal so viel erneuerbare Energie erzeugen. Schon heute wird die Insel landwirtschaftlich intensiv genutzt, Biobauern und Naturschutzgebiete sind in der Minderheit.
Vielleicht liegt die eigentliche Leistung der Samsinger ganz woanders. Denn dass der Energiemix gerade bei verstärktem Einsatz regenerativer Energien sich den regionalen Gegebenheiten anpassen muss, ist ohnehin klar. Und auch dass es ohne fossile Energieträger noch nicht geht, ist nicht gerade eine neue Erkenntnis. Es erstaunt vielmehr, wie eine gesellschaftliche Einheit, die von bäuerlichen Traditionen geprägt ist, in sehr kurzer Zeit eine so deutliche Veränderung ihres Energiemixes hinbekommen hat. Nicht ohne Diskussion, aber ohne Verwerfungen. Einen wesentlichen Anteil an der Transformation dürfte die Eigentümerstruktur der Projekte gehabt haben. Mit Hilfe der örtlichen Banken wurden Anteilsscheine an den einzelnen Windkraftanlagen ausgegeben. Wer kein Geld hatte, konnte sogar den kleinstmöglichen Anteil für 3000 Kronen (zirka 400 Euro) in Raten erwerben. So hat eines der Windräder 450 Besitzer, andere gehören einem einzelnen reichen Bauern.
Sommer 2011. Ich reise nach Samsö, weil mich interessiert, ob die Transformation im Energiesektor mit einer Transformation in denKöpfen einhergegangen ist. Und ob wir daraus für die gesellschaftliche Akzeptanz, die der Umbau der deutschen Energieversorgung
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