Abgeschaltet
fünfte Tonne des Treibhausgases, das China in die Atmosphäre entlässt, wird durch einen Konsumenten in den Industrieländern verursacht.
China hat die Abhängigkeit seines weiteren Wachstums von einer stabilen Energieversorgung erkannt. Die hartnäckige Weigerung, internationale Klimaschutzabkommen zu unterzeichnen, wurde wiederholt damit begründet, dass die Kohlendioxid-Emission pro Kopf deutlich geringer sei als in den Vereinigen Staaten. Dies kann man leicht herleiten, wenn man sich vor Augen führt, dass es 1,3 Milliarden Chinesen, aber nur etwas mehr als 300 Millionen US-Bürger gibt. Für aussagekräftiger halte ich es allerdings, wenn man Energieverbrauch oder Kohlendioxidemissionen einer Volkswirtschaft nicht auf die Anzahl der Menschen, sondern auf das Bruttosozialprodukt – also die wirtschaftliche Gesamtleistung – bezieht. Dann nämlich ergibt sich für das Jahr 2010 folgendes Ranking, wenn man die Daten des Internationalen Währungsfonds mit denen der BP kreuzt:
1. Deutschland : Je Tonne Erdöläquivalent erzeugt die deutsche Wirtschaft 9187 »Current International Dollar« (das ist eine künstliche Währung, die die unterschiedliche Kaufkraft in den einzelnen Ländern berücksichtigt, sie entspricht in diesem Fall etwa 7000 Euro).
2. USA: Die Amerikaner schaffen je Primärenergieeinheit schon nur noch 6412 CI-Dollar – sind also um rund ein Drittel weniger energieeffizient.
3. China: 4147 CI-Dollar je Tonne Öläquivalent, das bedeutet übersetzt: China müsste mehr als doppelt so energieeffizient wirtschaften, um zu Deutschland aufzuschließen.
Würde man für das Ranking die Kohlendioxidemission mit der Wirtschaftsleistung korrelieren, sähe die Reihenfolge genauso aus, die Abstände würden indes größer. Denn Deutschland deckt »nur« knapp 80 Prozent seines Primärenergiebedarfs aus fossilen Quellen, in China sind es mehr als 90 Prozent. Obwohl im Reich der Mitte derzeit 25 Kernkraftwerke gebaut werden, rechnet man damit, dass dieser Wert bis 2020 nur geringfügig sinkt. Überspitzt könnte man sagen: Statt nach China zu reisen, sollte man chinesische Eliten nach Deutschland einladen. Die Technologien, die wir für energieeffiziente Produktion, aber auch zur Energieerzeugung und -bereitstellung entwickelt haben, müssten sich bestens nach China verkaufen lassen. Tun sie auch, zum Beispiel machen die Hersteller von Anlagen zur Solarzellenproduktion teilweise mehr als die Hälfte ihres Umsatzes mit chinesischen Kunden.
Trotzdem plane ich zunächst nach China zu reisen. Ich war zuletzt 2006 dort, es muss sich viel getan haben. Aber mit wem reden? China hat viele Ministerien, aber – wie Deutschland – keinen Energieminister. Um die für eine dynamische Volkswirtschaft lebenswichtige Frage der Energieversorgung zu koordinieren, hat der chinesische Premierminister Wen Jiabao eine nationale Energie-Administration gegründet, die er selbst leitet. Insofern wäre er der erste Gesprächspartner, aber chinesische Politiker geben westlichen Medienvertretern extrem selten Interviews. Und wenn doch, hätte das Wall Street Journal sicher Priorität. Also versuche ich es bei Zhang Guobao, der als Direktor die Arbeit der Agentur koordiniert. Asiatisch indirekt natürlich: Der China-Chef eines deutschen Dax-Konzerns, selbst Chinese, geht mit Guobao zum Essen und spricht mein Interesse an einem persönlichen Interview an. Der verweist darauf, dass es ungewöhnlich sei, ich aber meine Fragen schriftlich einreichen könne. Diese würden schriftlich beantwortet und vielleicht in einem persönlichen Gespräch vertieft. Erst einmal lasse ich mich darauf ein, reiche einen Fragenkatalog und meinen Lebenslauf ein – und blockiere mir zwei Wochen für die Reise.
Monate später, trotz Nachfassens, ist ein Termin noch immer nicht fixiert. Der in Peking stationierte Pressesprecher eines deutschen Autoherstellers, als Wirtschaftsjournalist viele Jahre selbst aus China berichtend, tröstet mich: »Da sitzen Sie in schönen Sesseln, trinken Tee, und Verwertbares kommt ohnehin selten heraus.« Ich beginne, andere Termine für die Reise zu koordinieren und beantrage ein Journalistenvisum beim chinesischen Konsulat in Berlin. Für ein solches Visum muss man seine genaue Reiseroute und alle Gesprächspartner auflisten. Das fällt mir schwer, denn eigentlich will ich meine Bewegungsfreiheit nicht derart einschränken lassen. Aber ich will ja nichts Böses, sondern nur meine Arbeit verrichten. Also tue ich, was verlangt
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