Abgeschaltet
wird, und sende die Unterlagen einschließlich eines Lebenslaufes und Arbeitsnachweisen an das Konsulat. Wenige Tage später ruft ein Mitarbeiter der Pressestelle an: Das könne länger dauern, zumal die Einladung eines deutschen Unternehmens, die ich sicherheitshalber beigefügt hatte, nicht für Journalisten-, sondern nur für Geschäftsvisa gelte.
Mittlerweile sind es nur noch drei Wochen bis zum geplanten Abflug. Ich telefoniere mit einem Kollegen, der Halbchinese ist, und der Pressesprecherin der deutschen Botschaft in Peking. Niemand hat eine rettende Idee, so etwas könne halt dauern. Immer noch Stille aus Berlin. Ich entschließe mich schließlich, die Reise abzusagen: Denn natürlich ist der Energiehunger des Landes so groß wie seine Bevölkerung. Aber wozu das Ganze, was könnte man lernen? Zwar steckt China gegenwärtig viel Geld in seine Universitäten, vor allem in die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen – allein an der Tongji-Universität in Shanghai absolvieren jedes Jahr so viele Ingenieure ein Studium wie in ganz Deutschland. Aber derWissensrückstand beträgt dennoch fünf bis zehn Jahre, je nach Fachrichtung.
Neben der Technik gibt es für die Weiterentwicklung unseres Energiesystems eine zweite wichtige Voraussetzung: die gesellschaftliche Akzeptanz. Selbst in einem demokratischen Land ist diese nicht garantiert, wenn legitim Macht ausübende Politiker Entscheidungen treffen – spätestens seit der Debatte um das Bahnhofsprojekt »Stuttgart 21« und die anschließende Wahlniederlage der CDU in Baden-Württemberg sprechen sich auch konservative Politiker dafür aus, den Bürger stärker in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Von einem staatsautoritären System, so schnell die Wirtschaft dort auch wachsen möge, ist jedenfalls in dieser Richtung nichts zu lernen. Also: Rühmkorf hat recht, ich fahre nicht nach China und trete stattdessen mit der Energieakademie auf der dänischen Insel Samsö in Kontakt.
INSEL DER SELIGEN? WIE DIE UMSTELLUNG AUF ERNEUERBARE ENERGIEN GELINGEN KANN
»Es ist nicht genug zu wissen, man muss es auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen; man muss es auch tun!«
Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre
Selbstversorgung, das klingt nach einer Utopie der siebziger Jahre, nach Gemüseanbau in Hippiekommunen, nach einem Anachronismus in einer globalisierten Welt. Dennoch streben immer mehr Kommunen in Deutschland danach, in Sachen Energie Selbstversorger zu werden. Es gilt, so die Argumentation, die Macht der großen Energiekonzerne zu brechen und sich aus der Abhängigkeit von fossilen Großkraftwerken zu befreien. Wer Eigeninitiative, Unternehmergeist und Autonomie als gesellschaftlich gestaltende Kräfte befürwortet, kann – ganz unabhängig von Kohlendioxidbilanzen und Kapitalverhältnissen – eine solche Idee eigentlich erst einmal nur sympathisch finden. Es stellen sich lediglich zwei Fragen: Wie viel Selbstversorgung ist möglich und sinnvoll? Und wie kann eine Gemeinde einen damit verbundenen Transformationsprozess stemmen, ohne die Freiheit des Einzelnen über das unbedingt notwendige Maß hinaus zu beschneiden?
Es lohnt sich, schwierige Fragen nicht nur theoretisch zu betrachten, sondern das Experiment als methodisches Mittel einzusetzen. Das dachte sich in den neunziger Jahren auch die dänische Regierung und schrieb einen Wettbewerb aus, an dem sich alle Gemeinden beteiligen konnten. Das Ziel: einen realistischen Plan vorzulegen, wie unter den existierenden gesetzlichen und technischen Rahmenbedingungen eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien gelingen kann. Angepeilter Grad der Selbstversorgung: 100 Prozent. Der Gewinn: Anerkennung als Modellregion – aber keinerlei finanziellen Einkünfte, denn die in der Modellregion gewonnenen Erkenntnisse sollten später auf ganz Dänemark übertragen werden. Der Gewinner: Samsö, eine kleine Insel im Kattegat, knapp über 4000 Einwohner, unter Dänen bis dato vor allem für die ersten Frühkartoffeln und als Ferienparadies bekannt.
Ende 1997 ging es los mit der Umsetzung. Zum damaligen Zeitpunkt importierten die Samsinger – so nennen sich die Bewohner Samsös – jedes Jahr 30 Gigawattstunden an elektrischer Energie vom Festland, wo der Strom damals noch primär aus Kohlekraftwerken stammte. Außerdem heizten die meisten Insulaner mit importiertem Öl. Der Anteil erneuerbarer Energiequellen am Gesamtverbrauch betrug zum Projektstart 13 Prozent. Für mehr als
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