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Abgeschaltet

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Titel: Abgeschaltet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Winterhagen
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auftretenden hohen prozentualen Verluste entstehen. Damit sind die Unterschiede zwischen Stromangebot und -nachfrage innerhalb von sieben Sekunden auszugleichen, mehr als viermal schneller, als es klassische Bauweisen ermöglichen.
EIN GANZES LAND ALS BATTERIE?
    Immer wieder habe ich zu Beginn meiner Recherche von einer Idee gelesen, die mich auf Anhieb elektrisiert hat: Der Windkraftausbau erfolgt vorwiegend in Nord- und Ostsee. Wenn an stürmischen Tagen mehr Strom erzeugt wird, als in Deutschland verbraucht werden kann, dann senden wir ihn über im Meer verlegte Hochspannungskabel nach Norwegen und puffern ihn dort in Pumpspeicherkraftwerken. Die puren Zahlen sprechen für die Idee: Norwegen erzeugt ohnehin 99 Prozent seines Stroms aus Wasserkraft; 50 Prozent der europäischen Reservoir-Kapazität befinden sich dort. Manche dieser Speicher haben gigantische Ausmaße: Im Blåsjø – übersetzt der »blaue See« – befinden sich mehr als drei Milliarden Kubikmeter Wasser. Wird der Wasserspiegel vom Maximal- auf den Minimalpegel abgesenkt, können damit fast acht Terrawattstunden Energie gewonnen werden.
    Insofern könnte man das Land als grüne Batterie nutzen. Aber wollen das die Norweger auch? Und wie grün wäre eine solche Batterie? Ich entschließe mich, das vor Ort herauszufinden und nicht nur an auf Papier festgehaltene Visionen zu glauben.
    Alta. Ein schöner Name für eine Kleinstadt im Norden Norwegens. So weit im Norden, dass hier vom 24. November bis zum 18. Januar die Sonne nie aufgeht. Und so nah am magnetischen Nordpol, dass hier in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts die systematische Erforschung des Polarlichts begonnen wurde. Aber nicht deshalb kennt jeder Norweger über vierzig die Stadt. Sondern weil ein Staudammbau Anfang der achtziger Jahre die Gesellschaft des reichen Landes ähnlich polarisierte wie bei uns Wackersdorf oder die Startbahn West. Naturschützer und Fischer liefen mit vereinten Kräften Sturm gegen das Projekt. Außerdem sollte der hinter dem Damm auf 18 Kilometern Länge gestaute See traditionelles Stammesland der samischen Ureinwohner fluten. Im Januar 1981 blockierten 1000 Demonstranten bei minus 35 Grad die Zufahrt zurBaustelle – zudem befanden sich einige Samen im Hungerstreik. Zeitweise war jeder sechste Polizist Norwegens im Einsatz. Die Bauarbeiten ruhten zunächst. Nach einer Entscheidung des obersten Gerichtshofes im Jahr 1983 wurden Damm und Kraftwerk mit zusätzlichen Auflagen innerhalb von vier Jahren gebaut, heute beträgt die elektrische Leistung 150 Megawatt.
    Von meinem Hotel am Altafjord soll ich abgeholt werden, um mir das heute als ökologisch vorbildlich geltende Wasserkraftwerk anzusehen. Ein Geländewagen mit »Statkraft«-Beschriftung fährt vor, ein schlanker Mann in gelb-grauer Arbeitskleidung steigt aus. Schnell stellt sich heraus, dass es sich nicht um einen Fahrer handelt, sondern um Ole Christian Povenius, den Betriebsleiter aller Kraftwerke in einem Radius von fast eintausend Kilometern. Auf der Fahrt zum Staudamm erzählt er, dass er in der Region aufgewachsen sei, als Sohn eines Farmers, dass er die Natur liebe und Schlittenhunderennen fahre. Die Proteste hat er als Schüler miterlebt, einmal war er sogar bei einer Demo dabei, weil er so den Unterricht schwänzen konnte.
    Ging damals ein Riss durch viele Familien, so scheint heute keiner der Menschen, die ich während meines Besuchs spreche, dem Geschehen noch große Bedeutung beizumessen. Allerdings könnte das daran liegen, dass tatsächlich wahr ist, was Povenius behauptet: Die hohen ökologischen Standards wären ohne die vorausgegangenen Proteste vielleicht nie etabliert worden. Was bedeutet dies konkret? Immerhin wird der Flusslauf auf rund zwei Kilometern unterbrochen: Das am Staudamm entnommene Wasser, 100 Kubikmeter pro Sekunde, fließt durch Tunnel zu einem unterirdisch gelegenen Maschinenhaus. Der Canyon zwischen Damm und Wiedereinleitungspunkt liegt außerhalb der Zeit des Frühjahrshochwassers im Trockenen. Die große Sorge der Umweltschützer manifestierte sich am Lachs, dessen Wanderung unterbrochen wurde. Heute ist der Bestand im unteren Flussauf stabiler als in vielen anderen Gegenden. Je 100 Quadratmeter tummeln sich fast 90 Lachse mit einem Alter von mehr als einem Jahr, Tendenz steigend. Dies führt dazu, dass jährlich wieder rund 20 Tonnen des delikaten Fischs gefangen werden.
    Povenius begründet die gute Entwicklung des Fischbestands vor allem mit dem

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