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Kein Wunder, sind doch diese Seen, wenn auch einst künstlich von Menschenhand geschaffen, keine unbelebten Speicherbecken, sondern Orte, an denen Einheimische ihre Sommerhäuser haben. »Stellen Sie sich vor«, so Haaheim, »Sie haben Ihr Boot am Ufer vertäut, und eine Stunde später liegt es zehn Meter landeinwärts.« Variiert der Wasserpegel zu schnell, könnte dies überdies zu Erosion an den Staudämmen führen, die nicht auf Pumpspeicherbetrieb ausgelegt wurden. Eine verbreitete Technik ist es, den Zement der Staumauer durch Felsblöcke zu verstärken, weil der Zement dann deutlich schneller auskühlt und die Bauzeit sinkt. Der inhomogene Aufbau einer solchen Staumauer ist empfindlicher gegen rasche Veränderungen des anstehenden Staudrucks als eine einphasige Lösung.
Für akzeptabel hält Haaheim einen Wert von etwa zehn Zentimetern pro Stunde, etwas mehr für Speicherseen, die sehr hoch in den Bergen in unbewohnten Gegenden liegen. Bezöge man alle Kraftwerke Südnorwegens ein, die für eine Umrüstung überhaupt in Frage kommen, so könnte uns die norwegische Batterie fünf windstille Tage lang mit 16 Gigawatt versorgen. Das reicht zwar nicht, denn die Stromnachfrage beträgt in Deutschland bis zu 85 Gigawatt in Spitzenzeiten, ist aber doch deutlich mehr als ein Tropfen auf einem heißen Stein. Allerdings darf man nicht vergessen: Auch Dänen und Engländer arbeiten auf eine Kooperation mit Norwegen hin, es scheint kaum vorstellbar, dass die Deutschen einseitig bevorzugt werden. »Wer zahlt, wird die Speicher nutzen können«, sagt Haaheim.
Um die Wasserspeicher Norwegens an ein europäisches Stromnetz anzuschließen, benötigt man Leitungen. Zwischen den Landesgrenzen, wo man sie unter dem Meer verlegen muss. Und über Land, um den Strom vom Wasserkraftwerk an die Küste zu transportieren. Der Landtransport könnte sich als das größere Problem erweisen, denn schon heute weist das innernorwegische Netz Schwächen auf. Beim Neubau von Stromleitungen im eigenen Land stößt die norwegische Politik wie bei uns auf den Widerstand von Umweltschützern.
Derzeit werden zwei Untersee-Leitungen von zwei Konsortien konkret geplant, »Nord.Link« und »NorGer«. Jede soll in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts ein Gigawatt übertragen können. Von der Statkraft-Zentrale im Westen Oslos fahre ich 15 Minuten mit dem Taxi zum Hauptquartier von Statnett, dem staatseigenen Betreiber des norwegischen Stromnetzes. Mein Gesprächspartner ist Stein Vegar Larsen, der das Nord.Link-Projekt leitet. Er hat nicht viel Zeit, weil er zum Flughafen muss, redet aber dafür schnell und viel, so wie es Menschen oft tun, die eine Mission haben. Die Mission des erfahrenen Ingenieurs Larsen lässt sich mit wenigen Zahlen beschreiben: Spätestens Anfang 2017 soll ein 640 Kilometer langes Hochspannungs-Gleichstromkabel 1400 Megawatt zwischen Norwegen und Deutschland übermitteln können. Das Budget darf 1,4 Milliarden Euro – also ein Euro je Watt Übertragungsleistung – nicht überschreiten.
Eine finale Investitionsentscheidung ist noch nicht gefallen, derzeit läuft das Planfeststellungsverfahren. Dies ist alles andere als trivial, denn das Seekabel läuft auf 30 Kilometern Länge durch den Nationalpark Wattenmeer. Allerdings würde das Kabel ohnehin parallel zu anderen Leitern verlegt, die für den Anschluss von Windparks genutzt werden. Und nach heutigem Wissensstand haben die vollständig im Meeresboden versenkten Gleichspannungsleitungen keinen dauerhaft negativen Einfluss auf Fauna und Flora – allenfalls die Bauarbeiten selbst führen zu einer Belastung der Ökosysteme. Daher ist davon auszugehen, dass es letztlich zu einer genehmigten Planung kommt und Statnett 2013 die Ampeln auf grün stellt.
Anschließend soll drei Jahre lang gebaut werden. Neben dem Seekabel sind die Umrichterstationen in beiden Ländern als die Verbindungskabel zu diesen Stationen zu realisieren. Auf der norwegischen Seite muss außerdem das Höchstspannungsnetz selbst verstärkt werden – läge das Seekabel schon heute, würde die Einspeisung so gewaltiger Strommengen das Netz überfordern und zu Stromausfällen führen. Dieses Upgrade basiert im Wesentlichen auf Nachrüstung: Statt mit 350000 Volt soll das südnorwegische Netz künftig mit 420000 Volt arbeiten. Allerdings räumt Larsen ein: »Einige Leitungen müssen neu gebaut werden, und das führt zu Kontroversen.« Vor 2016 liegen die technischen Voraussetzungen in Norwegen nicht vor. Es ist
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