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Abgeschaltet

Abgeschaltet

Titel: Abgeschaltet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Winterhagen
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massiven Netzausbau. Tausende Kilometer an neuen Hochspannungsleitungen müssen gebaut werden, denn der Windstrom aus Nord- und Ostsee muss ja irgendwie in die Industriezentren im Westen und Süden der Republik transportiert werden.
    Wer nicht an Geister und Gespenster glaubt, muss sich an die Fakten und vor allem die Physik halten. Technisch stellt es keinerlei Problem dar, innerhalb eines Jahrzehnts zwanzig Prozent der Stromerzeugungskapazität auszutauschen. Wir haben auf unserer Reise bereits erfahren, dass wir für die gleiche Menge Strom bei Sonne und Wind ein Mehrfaches der Kapazität benötigen als bei Kern- oder Kohlekraftwerken. Aber gehen wir davon aus, dass auch dies technisch möglich ist, selbst wenn wir es schaffen, auch noch einen Teil der Kohleverstromung durch die Erneuerbaren zu substituieren. Wo ist dann das Problem?
    Das Problem ist die Stabilität unserer Stromnetze. Denn in der Vergangenheit schwankte allein der Verbrauch innerhalb eines Tages um mehr als den Faktor zwei. Auf seine Instabilität war die ganze Netzregelung abgestellt und ist es teilweise heute noch. Mit dem starken Wachstum bei Sonnen- und Windstrom kommt eine zweite Instabilität hinzu: die der Erzeugung. Es gilt also künftig, zwei instabile Größen so zu steuern, dass das gesamte Netz stabil bleibt, also Stromangebot und -nachfrage stets identisch sind.
DER BALANCEAKT
    Warum ist das so wichtig? Schließlich gibt es doch in einer realen Marktwirtschaft (fast) immer einen Angebotsüberschuss. Zunächst einmal ist Strom nichts anderes als eine gerichtete Bewegung geladener Teilchen, meist Elektronen. Keine Bewegung, kein Strom. Damit sich die Elektronen bewegen, reicht es nicht, eine Stromquelle, im einfachsten Fall eine kleine Batterie, irgendwo anzuschließen. Man muss auch einen Verbraucher, etwa eine Glühlampe, einschalten. Ist der elektrische Widerstand einigermaßen konstant, ist die Stärke des fließenden Stroms proportional zur Spannung. Daher muss die Spannung der Batterie in etwa der des Verbrauchers entsprechen, sonst brennt uns die Lampe durch. Dieser sehr simple Versuchsaufbau aus einem Physik-Experimentierkasten hilft uns aber bei unserem sehr komplexen Stromnetz nur bedingt weiter.
    Denn im Netz wird Wechselstrom verwendet, bei dem die Spannung mit einer bestimmten Frequenz zwischen einem positiven Maximal- und einem negativen Minimalwert schwankt. In Europa beträgt diese Frequenz 50 Hertz, das heißt 50 Schwingungen pro Minute. Damit das Netz als Ganzes funktioniert, müssen alle an das Netz angeschlossenen Stromgeneratoren phasengenau mitschwingen, sonst würden sich die einzelnen Spannungswerte gegenseitig neutralisieren. In der alten Kraftwerkswelt war dies recht einfach, denn die Generatoren großer Kohle- und auch Kernkraftwerke haben eine gewaltige Masse, die selbst bei einer Schnellabschaltung erst ganz langsam zum Stillstand kommt, etwa so, wie ein Vierzigtonner mit Motorschaden auf einem geraden Autobahnabschnitt sehr lange rollt, bis er steht. Massenträgheit nennen Physiker dieses Phänomen, das bei einer auf Halbleitertechnik basierenden Solaranlage naturgemäß nicht zu erwarten ist.
    Kommen wir zum Kern des Problems: Ein Spannungsabfall in einem bestimmten Netzteil führt dazu, dass mehr Strom durch dieübrigen Leitungen im Netz fließt. Wenn aber ohnehin alle Leitungen bis an die Grenze belastet sind, kann es zu einem Dominoaffekt kommen – und im schlimmsten Fall zu einem dunklen Kontinent. Um das zu verhindern, würden betroffene Netzteile großflächig abgeschaltet. Genau dies ist beim bisher größten Stromausfall in Europa im November 2006 passiert. Dafür, dass Teile Spaniens zwei Stunden lang im Dunklen lagen, war die Abschaltung einer einzelnen Höchstspannungsleitung in Norddeutschland verantwortlich.
VERNETZUNG SCHAFFT SPIELRÄUME
    Dass bestimmte Streckenabschnitte im Netz durch die Integration vor allem großer Windparks stärker belastet werden, ist plausibel. Wenn der Strom weiter transportiert wird als früher, ist die Gesamttransportmenge auf den Autobahnen – also den Fernleitungen – höher. Wie im Straßen- kann auch beim Stromnetz ein Ausbau Engpässe beseitigen. Wesentlich ist es aber, zu verstehen, dass es nicht nur um Kapazität geht, sondern darum, dass ein vergrößertes und engmaschigeres Netz die Gefahr verringert, die von instabilen Erzeugern ausgeht. Je größer ein europäisch-nordafrikanischer Stromverbund geknüpft ist, desto besser können wetterbedingte

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