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Abgeschaltet

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Titel: Abgeschaltet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Winterhagen
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Elektronen-Atomkern-Kollisionen im Leiter führen dazu, dass sich dieser erhitzt und sich dann so verhält wie jedes andere Metall unter Wärmezufuhr: Sprich, die Leitung dehnt sich aus und hängt stärker durch. Damit der Sicherheitsabstand der Hochspannungsleitung zu Gebäuden, Straßen und anderen Einrichtungen auch bei sommerlichen Temperaturen und Windstille eingehalten wird, sind alle Hochspannungsleitungen auf 35 Grad Außentemperatur bei minimaler Windgeschwindigkeit (0,6 Meter pro Sekunde) ausgelegt. Führte man flächendeckend eine temperaturabhängige Kapazitätssteuerung ein, so sänke der Neubaubedarf um immerhin 100 Kilometer.
Deutlicher reduzieren könnte man den Bedarf, wenn anstelle der heute verwendeten Stahlseile Hochtemperaturleiter aus einer Aluminium-Zirkon-Legierung zum Einsatz kämen. Die Betriebstemperatur diese Seile liegt mit 150 Grad Celsius fast doppelt so hoch – man käme daher mit 1700 Kilometern neu gebauter Hochspannungsleitungen aus. Der Pferdefuß: Man müsste fast doppelt so viel für den Ausbau zahlen. Im Netznutzungsentgelt, das wir als Stromkunden alle per Umlage bezahlen, betrüge der Unterschied allerdings nur 0,3 Cent je Kilowattstunde, auch dies steht in der Studie.
Auch eine Variante mit vollständiger Erdverkabelung auf Basis gasisolierter Leiter hat die dena durchgerechnet. Sie käme uns mit jährlichen Kosten von fast fünf Milliarden Euro fünfmal so teuer wie die Verwendung der heute üblichen Technik.
    Fazit: Wie alle Prognosen bewegt sich auch die dena-Studie in einem Möglichkeitsraum. Gewisse Möglichkeiten sind dabei nicht einmal untersucht worden. Zum Beispiel kann man mit noch höheren Spannungen arbeiten: In Osteuropa, vor allem in Russland, sind 750000-Volt-Leitungen gebaut worden. China baut sogar ein Netz mit einer Spannung von einer Million Volt auf, um die weiten Strecken im Land verlustarm zu überbrücken. Außerdem können die bestehenden Leitungen höher und breiter gebaut werden, dann passen mehr Leiterseile auf jeden Mast und die Kapazität steigt. Schließlich ist zu hinterfragen, ob das Netz der Bahn nicht auch für »unseren« Strom genutzt werden kann. Dabei geht es nicht darum, das ohnehin aus historischen Gründen bei anderer Frequenz und für den Langstreckentransport zu spannungsarme Netz selbst zu nutzen, sondern die bestehenden Masten zu erhöhen, um zusätzliche Leiter zu verlegen. Georg Nüsslein, energiepolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, hat diesen Vorschlag mehrfach aufgebracht. Am Telefon bestreitet er nicht, dass es Widerstände gibt. An der Technik läge es nicht, erzählt er, sondern eher an der Frage der Verzinsung für die Bahn. »Wir sind ja nicht der kleinste Gesellschafter der Bahn. Man könnte ihr also auch einfach mitteilen, was gemacht wird«, droht er für den Fall der Nichteinigung.
    Nicht vergessen werden sollte, dass viele der erneuerbaren Minikraftwerke gar nicht ins Höchstspannungsnetz einspeisen, sondern in die Verteilernetze oder die Zwischenebene, auf der mit 110000 Volt gearbeitet wird. Auch hier ist ein Ausbau folglich sinnvoll, der, in Kilometern gemessen, den des Höchstspannungsnetzes bei weitem übertreffen dürfte.
    Der notwendige Neu- und Ausbau der Stromnetze trifft auf erheblichen Widerstand in betroffenen Kommunen. Das ist nicht verwunderlich, hat der Mensch doch im Lauf der Evolution die Fähigkeit zur »adaptiven Präferenz« entwickelt. Sprich: Grundsätzlich will der Mensch nichts verändern, solange es ihm keine unmittelbaren Vorteile bietet. Psychologen gehen davon aus, dass diese Fähigkeit unsere Vorfahren im Überlebenskampf begünstigt hat. So ist die Erdverkabelung mittlerweile in mancher Kommune fast zur Glaubensfrage geworden. Es klingt ja auch zu schön: Aus den Augen, aus dem Sinn – wer findet schon Strommasten ansehnlich? Neben den Kosten gibt es jedoch mindestens ein weiteres Argument gegen die Kabel unter der Erde: Sie stellen trotzdem einen massiven Eingriff in die Natur statt. Denn um die gleiche Strommenge wie mit einer Freilandleitung zu übertragen, müssen zwei Erdleitungen verlegt werden. Damit bei Störungen jederzeit volle Zugänglichkeit gewahrt ist, muss eine Schneise von bis zu 40 Metern in die Landschaft geschlagen werden, die weitgehend von Bewuchs freizuhalten ist und somit ökologische Lebensräume zerschneidet. Insbesondere tiefwurzelnde Pflanzen müssten entfernt werden, sie könnten die Leitungen beschädigen – während bei klassischer

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