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Abgeschaltet

Abgeschaltet

Titel: Abgeschaltet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Winterhagen
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Bestandteile zusammengenommen. Physiker sprechen von einem Massendefekt. Da Masse nicht einfach verschwindet, muss beim Zusammenschluss der Protonen und Neutronen zu einem Atomkern ein Teil der Masse zu Energie geworden sein. (Wer jetzt an Einstein denkt, liegt übrigens richtig.)
    Nun ist der Massendefekt nicht für alle Atome gleich groß. Den größten Massendefekt weisen Eisen- und Nickelatome auf, die aus etwa 60 Kernbausteinen bestehen. Um sie aufzuspalten, benötigt man besonders viel Energie. Sehr schwere Atomkerne hingegen, beispielsweise von Uran, je nach Bauart mit 232 und mehr Kernbausteinen ausgestattet, haben von Natur aus einen geringen Massendefekt und lassen sich leicht spalten. Bei der Spaltung entstehen zwei kleinere Atome, die in Summe einen höheren Massendefekt aufweisen als das Ausgangsmaterial, es ist also ein größerer Teil der Masse als Energie freigesetzt worden. Diese zusätzlich frei werdende Energie ist jene, die in Kernkraftwerken technisch genutzt wird. Denn die Energie ist nicht irgendwo, sondern sie beschleunigt die Teilchen, die bei einer Kernspaltung entstehen. Die Teilchenbewegung wird indirekt an die Wassermoleküle eines Kühlkreislaufs weitergegeben, die sich erhitzen und verdampfen. Der Wasserdampf erzeugt dann mit Hilfe einer Turbine Strom, genauso wie in einem Kohlekraftwerk.
    So weit, so gut. Aber was hat das alles mit der Abschaltbarkeit zu tun? Bei der Spaltung des in vielen Kernkraftwerken verwendeten Uran-Isotops 235 entstehen nicht nur zwei neue, kleinere Atome, sondern auch einzelne Neutronen (in der Regel drei) sowie einige andere Tierchen aus dem bunten Zoo der Teilchenphysiker. Die Neutronen sind in der Lage, die Kerne weiterer Uranatome zu spalten, wenn sie auf diese treffen. Man spricht von einer Kettenreaktion, die, einmal in Gang gekommen, theoretisch erst vollständig zum Erliegen kommt, wenn der sich im Reaktor befindende Brennstoff komplett verbraucht ist. Und tatsächlich: In einem Kilo Uran steckt so viel Energie wie in 2,7 Millionen Tonnen Steinkohle. Die übersteigerten Hoffnungen, mit denen man in den fünfziger und sechziger Jahren in die friedliche Nutzung der Kernkraft investierte, gründeten genau auf dieser Energiedichte. Eine Kettenreaktion mit hoher Energiefreisetzung, das bedeutet allerdings: Die natürliche Reaktion würde immer zur Kernschmelze führen. Erst zusätzliche Technik, nämlich permanente Wärmeabfuhr in Form von Kühlung,ermöglicht den sicheren Betrieb. Und weitere Technik, die Steuerstäbe, ermöglicht zwar nicht das Abschalten, aber doch die Verlangsamung der Kettenreaktion. Hier genau liegt das erhöhte Gefahrenpotenzial von Kernkraftwerken: Fällt die Technik zur Beherrschung der Technik aus, wird sie unbeherrschbar. Ein Freund, Professor für Regelungstechnik, formulierte das einmal so: »Es ist, als ob man einen Löffel mit seinem Stiel frei auf den Tisch stellt. Wenn man permanent mit den Fingerspitzen nachregelt, dann fällt er nicht um. Wehe aber, man passt einen Moment nicht auf.«
DIE DRITTE GENERATION
    In Fukushima ist der Löffel umgefallen, mit allen Folgen, die das für die Nutz- und Bewohnbarkeit eines großen Gebietes auf der japanischen Hauptinsel Honshu hat. Natürlich gibt es technische Unterschiede zwischen dem havarierten Kernkraftwerk Fukushima Daiichi und den in Deutschland noch betriebenen Anlagen. Wesentliche Eckpunkte sind das gestaffelte Sicherheitskonzept, der bessere Schutz der Notstromversorgung und Einrichtungen, die die Ansammlung von explosivem Wasserstoff verhindern sollen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Reaktorsicherheitskommission nach dem sogenannten Stresstest zu dem Ergebnis kommt, dass »hinsichtlich der Stromversorgung und der Berücksichtigung externer Überflutungsereignisse für deutsche Anlagen eine höhere Vorsorge festzustellen ist.« Das Wort »sogenannt« verwende ich bewusst, weil ein guter Teil des Gutachtens darin besteht, zu schildern, welche Ergebnisse nicht oder nicht vergleichbar vorliegen. Für eine ernstzunehmende Sicherheitsüberprüfung hinsichtlich außergewöhnlicher Ereignisse hätte die Kommission deutlich mehr Zeit benötigt, die ihr die Politik aus Angst vor den nächsten Wahlkämpfen nicht zugestanden hat.
    Nicht zu bestreiten ist aber, dass sie zur selben Generation von Kernkraftwerken gehören, die international die zweite Generation genannt wird. Die drei großen Hersteller von Kernkraftwerken, Areva, General Electric und Toshiba, arbeiten

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