Abgeschaltet
berücksichtigen, dass sich Preise im Energiesektor fast immer aus den Herstellkosten und den politisch erwirkten Subventionen oder Steuern zusammensetzen – anders ausgedrückt: Was Erdgas relativ zu anderen Energieträgern kostet, ist politisch gestaltbar.
DIE KERNENERGIE: HAUPTSACHE OHNE KOHLENDIOXID?
»Die entfesselte Macht des Atoms hat alles verändert, nur nicht unsere Denkweise.«
Albert Einstein
Werden meine Kinder den Einstein zugeschriebenen Satz aus dem Motto noch verstehen? Sie wachsen am Beginn des 21. Jahrhunderts unter anderen Bedingungen auf als die meisten heute lebenden Menschen. Ein mit Atomwaffen geführter Krieg, der ganz Europa vernichten könnte, wird ihnen hoffentlich als unwirklich erscheinen. Ebenso wenig wie eine solche Bedrohung werden sie die Argumente verstehen, die beim ersten deutschen Atomausstieg unter rot-grüner Regie vorgebracht wurden. Denn natürlich werden die Lichter in Deutschland nicht ausgegangen sein, vielleicht gibt es einzelne großflächige Stromausfälle, aber die werden eine starke Volkswirtschaft nicht in den Untergang zwingen. Die Emotionalität, mit der seit den siebziger Jahren gegen Atomkraftwerke, Wiederaufbereitungsanlagen, Castor-Transporte, Endlager demonstriert wurde – alles Vergangenheit ohne große Folgen. Ohne Fukushima wäre es aus Sicht meiner Kinder vermutlich gar nicht so anders gekommen. Denn Anlagen, die in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts gebaut wurden, hätte man sowieso in den kommenden Jahrzehnten abschalten müssen, so wie irgendwann jede Waschmaschine, jedes Auto, schlicht jeder von Menschenhand gemachte Gegenstand das Ende seiner Lebenszeit erreicht und zuvor fehleranfälliger wird. Und für einen Neubau von Kernkraftwerken wäre in Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Akzeptanz vorhanden gewesen.
Bereits beim Aufbruch zu unserer Reise habe ich betont, dass die Kernenergie keinen sehr großen Beitrag zur Weltenergieversorgung leistet. Man könnte auch formulieren: Die Frage nach der Kernkraft ist schlichtweg überbewertet. Das einzige Argument, das in den letzten Jahren in der Debatte neu und spannend war, ist die gute Klimabilanz von Kernkraftwerken, die sogar ehemals erbitterte Gegner wie den amerikanischen Umweltaktivisten Steward Brand zu Befürwortern gemacht hat. In der Tat können Kernkraftwerke hier einen Beitrag leisten, allerdings ebenfalls nicht die Welt retten. Hätten wir im Jahr 2050 weltweit 1000 Kernkraftwerke am Netz, so eine MIT-Studie, die entsprechende Kohlekraftwerke ersetzen, dann würde die Welt 1,8 Milliarden Tonnen Kohlendioxid pro Jahr weniger ausstoßen. Anders ausgedrückt: Da die heutigen Kraftwerke bis dahin nahezu alle das Ende ihrer Lebenszeit erreichen, müssten wir jedes Jahr zwei bis drei Kernkraftwerke neu bauen, um damit sieben Prozent der heutigen Emissionen einzusparen. Technisch ist das machbar.
Daher lohnt es sich, einige einfache Fragen zu stellen, bevor wir diese Energieform endgültig zu den Akten legen: Wäre es möglich, so etwas wie absolut sichere Kernkraftwerke zu bauen? Und wie sollte dann mit der Entsorgung der strahlenden Abfälle umgegangen werden?
MATERIE WIRD ENERGIE
Beginnen will ich aber mit einer ganz anderen Frage: Warum sind heutige Kernkraftwerke überhaupt gefährlicher als Kohlekraftwerke? Die kurze Antwort lautet: Weil man sie nicht einfach abstellen kann. Die längere Version kann man mit dem Unterschied zwischen einem Gasherd und einem Kernkraftwerk erläutern. Wer seine Pastasoße auf dem Gasherd vergisst, der wird irgendwann riechen, dass sie anbrennt, zum Herd eilen, den Drehhebel auf null stellen. Die Soße ist zwar futsch, aber da der Nachschub an Brennstoff fehlt, ist jede weitere Gefahr gebannt. Und selbst wenn wir das verbleibende Restrisiko betrachten (niemand ist zu Hause und es beginnt in der Wohnung zu brennen), so können Feuerwehr und Stadtwerke einen Unfall schnell in den Griff bekommen, indem sie die Gaszufuhr abstellen und das vom Energienachschub abgeschnittene Feuer löschen. Im Wesen jeder Verbrennung liegt es, dass sie erlischt, sobald der Brennstoff fehlt.
Auch bei Kernkraftwerken reden wir von Brennstäben. Irrtümlich, denn in Kernkraftwerken brennt (hoffentlich) gar nichts. Eswird nämlich nicht chemische Energie in thermische umgesetzt, sondern die Kernkraft genutzt. Sie beruht auf einem seltsamen physikalischen Phänomen: Wiegt man einen Atomkern, so ist er leichter als das Gewicht all seiner einzelnen
Weitere Kostenlose Bücher