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Abgeschaltet

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Titel: Abgeschaltet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Winterhagen
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mittlerweile alle an einer dritten Generation, die eine deutlich erhöhte Sicherheit bieten soll. Teilweise befinden sich diese Anlagen bereits im Bau. Zum Beispiel der Europäische Druckwasserreaktor EPR, dessen erstes Exemplar 2012 auf der finnischen Halbinsel Olkiluoto in Betrieb gehen soll. Fast zeitgleich war die Erweiterung des französischenKernkraftwerks Flamanville am Ärmelkanal um einen EPR-Reaktor geplant. Im Juli 2011 gab der Betreiber EDF in einer nur auf Französisch veröffentlichten Pressemitteilung bekannt, dass mit der Stromproduktion erst 2016 gerechnet werden könne. Wie es scheint, bereitet bei dem direkt am Meer gebauten Kraftwerk die Sicherheit bei Überschwemmungen Sorgen, die erst seit Fukushima richtig ins Bewusstsein der Konstrukteure gelangt ist.
    Die höhere Sicherheit der dritten Kraftwerksgeneration basiert im Wesentlichen darauf, dass sämtliche Systeme, die für Kühlung und Stromversorgung benötigt werden, mehrfach vorhanden sind und voneinander völlig unabhängig arbeiten. Außerdem ist für den Fall einer Kernschmelze bereits vorgesorgt: Unterhalb des Reaktors befindet sich ein Auffangbecken, in das der geschmolzene Kern abfließen kann. Ansonsten unterscheidet sich die Technik des ERP nicht grundlegend von heutigen Druckwasserreaktoren. Ich habe keinerlei Zweifel daran, dass ein solches Kraftwerk sicherer als die der zweiten Generation ist, aber man muss konstatieren, dass das Betriebsprinzip das gleiche ist: Mit großem technischen Aufwand wird versucht, den Zustand zu verhindern, den das System von sich aus annehmen würde: die Kernschmelze und damit die Zerstörung des Kraftwerks. Grundsätzlich sicher, das sieht anders aus.
DIE VIERTE GENERATION – INHÄRENT SICHER?
    Ob aus solchen Überlegungen heraus oder aus politischer Motivation: Seit Anfang des 21. Jahrhunderts läuft ein internationales Forschungsprogramm, das die Entwicklung eines inhärent sicheren Kernreaktors zum Ziel hat. Eines Reaktors also, in dem ein GAU tatsächlich auszuschließen ist. Wie aber soll das vor dem Hintergrund des zuvor erläuterten Mechanismus überhaupt möglich sein?
    Um dieser Frage nachzugehen, besuche ich, drei Monate vor dem Unglück in Fukushima, Professor Thomas Schulenberg, der das Kern- und Energietechnische Institut in Karlsruhe leitet. Dass es sich nicht um irgendein Institut einer Universität handelt, ahnt sofort, wer den Standort in Eggenstein-Leopoldshafen besucht. Wenige Kilometer von der Rheintalautobahn entfernt, mitten im Wald, komme ich an eine Pforte, an der ich den Personalausweis abgeben muss. Vom Pförtner bekomme ich einen Lageplan, er zeichnet mir den Weg zu meinem Gesprächspartner ein. Früher, als hier das führende kerntechnische Forschungsinstitut der Bundesrepublik stand, wäre es freilich undenkbar gewesen, dass ich mich frei auf dem riesigen Gelände bewege. Ich parke direkt vor dem Institutsgebäude, traurig wirkt es mit seiner unrenovierten Fassade an diesem nasskalten Dezembertag. Auch im Gebäude kann ich mich frei bewegen, auf der Suche nach Schulenbergs Büro verlaufe ich mich zweimal. Als ich in seinem Sekretariat stehe, fällt mir an der Pinnwand sofort ein Zettel mit einem Merkspruch auf: »Journalistenanfragen: Weiterleiten an Pressestelle«.
    Schulenberg ist ein nüchterner, hagerer, freundlicher Mann, der sich viel Zeit nimmt. Nur die Weihnachtsfeier für seine Mitarbeiter, die müsse er heute Nachmittag wahrnehmen. Gleich zu Beginn unseres Gesprächs wird deutlich, dass seine Vita die Entwicklung der Kerntechnik in Deutschland spiegelt: Als promovierter Kernphysiker fand er nach dem GAU in Tschernobyl keinen Job auf seinem Fachgebiet. Also entwickelte er Gas- und Dampfkraftwerke für ein großes deutsches Unternehmen. Im Jahr 2000 berief man ihn nach Karlsruhe, eigentlich, um zwei kerntechnische Institute in konventionelle Kraftwerktechnik zu überführen. »Im ersten Jahr habe ich festgestellt: Das wäre unverantwortlich gewesen, wir sind fast die Letzten, die sich noch wissenschaftlich mit Kerntechnik beschäftigen.« Die Ausbildung von Kerntechnikern, die weltweit benötigt werden, wo Kernkraftwerke betrieben oder sogar nur rückgebaut werden, sieht er als Kernaufgabe.
    Um junge Menschen für die umstrittene Technik begeistern zu können, setzte Schulenberg einen neuen Forschungsschwerpunkt auf der vierten Generation von Kernkraftwerken. Der Begriff »Generation IV« meint eine internationale Forschungsinitiative, die im Jahr 2000 vom

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