Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
Haus eher altmodisch ausgestattet war. Zahlreiche Töpfe und Pfannen hingen in einem kreativen Durcheinander von der Decke über einem Küchenblock. Unweigerlich musste Linda an den Sektionstisch denken, auch weil ihr der süßliche Geruch noch immer in der Nase lag, und das, obwohl der Wind da draußen sie ordentlich durchgepustet hatte.
Das Haus sieht bewohnt aus. Aber es fühlt sich leer an.
Linda bemerkte eine aufgeschlagene Zeitung auf einem kleinen Tisch neben dem Arbeitsblock. Sie betrat die Küche und warf einen Blick auf das Datum. Die Sonntagsausgabe war von der vergangenen Woche, was nichts zu bedeuten hatte, weil auch die Post seit dem Sturm nur noch unregelmäßig kam. »Milde Richter«, las sie die Überschrift eines doppelseitigen Artikels. Im ersten Absatz fiel der Name
Friederike Erlang
im Zusammenhang mit einem Jan S.
Linda hörte ein Geräusch hinter sich und drehte sich um, da sie Ender zurück im Erdgeschoss vermutete, doch da war niemand.
»Hallo?«
Von einem Moment auf den anderen fühlte sie sich wieder so wie vor dem Fahrstuhl der Pathologie. Sie hatte Angst.
Linda griff nach ihrem Handy, als wäre es eine Waffe, mit der sie sich im Notfall verteidigen konnte, und rief nach Ender.
Keine Antwort.
Plötzlich vibrierte es in ihrer Hand, und fast hätte sie das Telefon fallen gelassen. Während sie ruhiger zu werden versuchte, um den Anruf entgegenzunehmen, las sie im Display, dass verschiedene Teilnehmer zuvor schon wiederholt versucht hatten, sie zu erreichen.
Verdammt. Sieben Anrufe in Abwesenheit.
Vier davon von ihrem Bruder.
Draußen hatte sie das Klingeln im Rauschen des Orkans wohl überhört.
»Ja, hallo?«
»Wo seid ihr?« Herzfeld klang noch angespannter als in den Gesprächen zuvor.
»Wusstest du, dass dein Freund auch beim Schlüsseldienst arbeitet?«, fragte Linda bewusst ironisch, auch um sich selbst mit einer humorvollen Bemerkung die Furcht zu vertreiben. »Wir haben das Haus dieser Friederike Töven gefunden, scheint aber keiner da zu sein.«
»Nicht reingehen. Geht auf gar keinen Fall in das Haus der Richterin hinein!«
Aha. Richterin ist sie also.
Linda hatte die Küche wieder verlassen und spähte den Flur hinunter Richtung Wohnzimmer, wo gerade eine Standuhr dreimal hintereinander anschlug, obwohl es garantiert noch nicht so spät am Nachmittag war.
Kein Ender. Keine Frau Töven. Niemand.
»Nicht reingehen? Mann, echt, ich fasse es nicht. Du hast keine Probleme damit, wenn ich eine Leiche mit dem Messer bearbeite. Aber bei Hausfriedensbruch machst du dir ins Hemd.« Linda sprach bewusst lauter als notwendig, damit Ender sie hörte und endlich ein Lebenszeichen von sich gab. Wo steckte der Kerl bloß?
»Wir sehen uns hier nur kurz um und gehen dann wieder. Wo liegt das Problem?«, wollte sie wissen. Und dann sah sie es, bevor Herzfeld ihr antworten konnte, als sie die Tür zum Wohnzimmer öffnete.
»Das Problem« lag gefesselt in einem See aus Blut auf dem Parkett und stöhnte mit geschlossenem Mund um Hilfe.
25. Kapitel
E nder! Eeender!?« Linda tapste wie in Zeitlupe in das Wohnzimmer hinein und legte ihr Handy auf einem dunkelbraunen Sekretär ab. Am liebsten wäre sie schreiend aus dem Haus gerannt, hätte sie nicht bemerkt, dass die alte Dame noch lebte.
Hilfe! Die Frau braucht Hilfe,
dachte sie und rief erneut nach dem Hausmeister.
Graues Haar, rundes Gesicht.
Wie auf dem Foto in der Ü-Ei-Kapsel
. Kein Zweifel, das war Friederike Töven.
Die Frau lag in gekrümmter Seitenlage, mit angezogenen Knien vor einer Glasvitrine, die Hände mit einer Drahtschlinge an die Knöchel ihrer Füße gefesselt.
Linda kniete sich neben sie, unschlüssig, was sie zuerst tun sollte. Der Erste-Hilfe-Kurs in der Fahrschule war schon lange her, sie konnte sich nur noch vage erinnern, dass man bei einem leblosen Körper zuerst die Atmung kontrollieren musste.
Und dieser Körper war mit einem Mal verdammt leblos!
Eben noch hatte Linda die Frau laut und deutlich stöhnen hören, aber jetzt bewegte sich ihr Brustkorb keinen Millimeter mehr.
Die Richterin war stark übergewichtig, eine cremefarbene Bluse spannte über enormen Brüsten. Sie trug einen weiten Rock mit Blumenmuster, dessen Grundfarbe wohl einmal Weiß gewesen war, sich jetzt aber von der Hüfte abwärts rostbraun verfärbt hatte. Fast wirkte es so, als hätte sie sich mit Absicht in der Blutpfütze unter ihrem Körper gewälzt. Linda konnte auf den ersten Blick keine offene Wunde erkennen. Der runde
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