Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
angewidertem Blick auf den Inhalt des Glases.
»Eine menschliche Zunge«, bestätigte Herzfeld und griff zu seinem Handy. »Ich informiere Linda, dass wir zumindest das Rätsel um Eriks Identität gelöst haben.«
31. Kapitel
Helgoland.
A n. Aus. Pause. Und wieder an.
»Was geht hier vor?«, fragte Linda in dem kurzen Moment, in dem sie etwas sehen konnte. Dann ging das Licht wieder aus.
»Vielleicht der Notstrom.« Ender flüsterte besorgt, als könne er das unheimliche Hell-Dunkel-Stakkato, dem sie sich auf einmal ausgesetzt sahen, noch verschlimmern, wenn er mit normaler Lautstärke spräche.
Oder er glaubt, dass wir nicht länger alleine sind.
»Kann sein, dass das Aggregat langsam den Geist aufgibt.« Der Hausmeister klang nicht sehr überzeugt. Das letzte helle Intervall hatte Ender genutzt, um zu den Lichtschaltern zur Tür zu gelangen, die er jetzt einen nach dem anderen erfolglos ausprobierte.
An. Aus. Pause.
Na toll, eine Lichtorgel in der Pathologie.
Linda überlegte, ob sie ihren Platz an Tövens Seziertisch aufgeben und sich mit einem der beiden Messer bewaffnen sollte, die in drei Meter Abstand auf dem Beistelltisch lagen. Sie bekam Gänsehaut.
Das laute Knacken war fast noch unangenehmer als die immer wieder über sie hereinbrechende vollständige Finsternis. Jedes Mal, wenn das Licht ausfiel, klang es, als würde einem Monster die Wirbelsäule eingerenkt. Die Geräusche prallten von den gekachelten Wänden gegen die Edelstahltische und mischten sich mit einem unangenehmen, elektrostatischen Summen.
»Wo willst du hin?«, fragte Linda. Das Licht brannte wieder für drei Sekunden, und Ender stand bereits mit einem Fuß im Gang.
»Ich geh zum Hauptschaltraum. Bin gleich zurück.«
Klar. Lass mich nur alleine in der Disco des Teufels,
dachte Linda, dann wurde ihr schlecht. Sie konnte kaum mehr das Gleichgewicht halten. Sie hatte den Fehler gemacht und auf den Seziertisch geschaut, als die Arbeitslampe darüber aufgeflammt war, und nun, da es wieder dunkel war, tanzte das Foto der toten Richterin auf Lindas Netzhaut. Als sie die sterblichen Überreste auf den Tisch gehievt hatten, hatte sich der Teppich aufgerollt. Mittlerweile hatten sich die Enden vollends vom Körper gelöst.
Friederike Tövens Leiche lag auf dem Bauch, der Rock bis über die Hüfte hochgeschoben, was den Blick auf einen zerfetzten und blutgetränkten Baumwollschlüpfer freigegeben hatte …
… und auf den Stock. Scheiße, Ender, bitte komm zurück!
Linda hielt die Augen fest geschlossen, um detaillierte Eindrücke zu vermeiden, aber das machte keinen Unterschied. Der Anblick des abgebrochenen Besenstiels, der zwischen den breiten Oberschenkeln direkt im Genitalbereich der Richterin steckte, hatte sich in ihrem Bewusstsein eingebrannt – und das auf ewig, wie Linda befürchtete.
Das Licht ging wieder an, wenn auch nur für eine Sekunde, und sie verspürte den unwiderstehlichen Drang, sich zu übergeben. Die Ursache des heftigen Blutverlusts war gefunden: Der Killer hatte Friederike Töven gepfählt.
Zonk.
Sie zuckte heftig zusammen. Diesmal war das Geräusch, mit dem die Lampen sich ausschalteten, von anderer Qualität. Lauter, mit einem größeren Nachhall, aber ohne zu knacken.
Vermutlich hatte Ender den Hauptschaltraum erreicht und das Aggregat komplett heruntergefahren, denn nun konnte sie auch das Summen der Klimaanlage nicht mehr hören, und die Dunkelphase hielt an.
Dafür begann es zu klingeln.
Lindas Augen wanderten zu dem schwachen grünen Licht, das direkt über Eriks Leiche tanzte. Das Haustelefon der Klinik steckte noch immer in dem an der Lampe befestigten Werkzeuggürtel und läutete mit jeder Sekunde lauter.
Sie tastete sich zu dem anderen Sektionstisch hinüber, und als sie ihn erreicht hatte, geschahen mehrere Dinge in rascher Abfolge: Zuerst verstummte das Klingeln, und mit dem Display erlosch auch noch das letzte spärliche Restlicht. Sie hörte ein klirrendes Geräusch, das sie an früher erinnerte, wenn sie ihrer Mutter dabei geholfen hatte, das saubere Besteck in die Küchenschublade zu sortieren. Und dann, als das Telefon über dem Bauch der Leiche erneut anschlug, entfuhr ihr ein heller, spitzer Schrei. Ausgelöst durch eine Berührung, die sich wie ein kalter Kuss in ihrem Nacken anfühlte.
32. Kapitel
Zarrentin.
I ch kann sie nicht erreichen.«
Herzfeld sah zu Ingolf, der, die Hände in die Hüften gestemmt, mit nachdenklich wiegendem Kopf vor dem Schrein stand, den
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